Organisation und Unternehmensentwicklung 27
Viele Sozialwissenschaftler und auch viele Praktiker stimmen darin überein, daß in den westlichen Industriegesellschaften ein Wertewandel in der Einstellung zur Arbeit stattfindet. Abweichende Meinungen gibt es jedoch hinsichtlich der Ursachen und hinsichtlich der Auswirkungen des Wertewandels. Auch der Verlauf des Wertewandels selbst ist durchaus umstritten. Obwohl es ein schwieriges Unterfangen darstellt, die kontroversen Argumentationsketten zu entwirren, ist es dennoch notwendig, hierauf, wenn auch notwendigerweise sehr kurz und relativ grob, einzugehen.
(1) Ansichten über den Verlauf des Wertewandels
Mehrere bekannte Forschungsinstitute haben in einer umfangreichen, internationalen Untersuchung eine zunehmend kritische, distanzierte Einstellung der Arbeitnehmer gegenüber der Industriearbeit festgestellt, wobei dies für die Bundesrepublik Deutschland in besonders starkem Maße zutrifft.„Auch im internationalen Vergleich zeigt sich die Abkehr der deutschen Arbeitnehmer von der traditionellen Haltung der fraglosen Unterordnung unter die Arbeiterrolle.“$ Dies gilt insbesondere für jüngere Arbeitnehmer, wie aus Abb. 8 hervorgeht.
Unabhängig davon hat Inglehart schon in den 60er und 70er Jahren festgestellt, daß soziale und psychische Funktionen der Arbeit sowie alternative Erwerbsformen an Bedeutung gewinnen.® Statt dessen gelten„postmaterialistische“ Werte wie Selbstbestimmung, Gesundheit oder Freizeit für Menschen als besonders erstrebenswert, die in der Wohlstandsgesellschaft aufgewachsen sind. Wertewandel ist damit auch ein generationenspezifisches Phänomen, weil unterschiedliche Lebenserfahrungen vor und während der Erwerbsphase die Einstellung zur Arbeit beeinflussen.
Kommen Noelle-Neumann und Strümpel zu dem Ergebnis, die Arbeitszufriedenheit und die Arbeitsfreude haben sich verringert(während die Einkommensund die Lebenszufriedenheit zugenommen haben),’ wird dies von Schmidtchen aufgrund einer Untersuchung in der deutschen Metallindustrie grundsätzlich bestritten. Er geht davon aus, daß das„Arbeitsethos“ in einer funktionellen Beziehung zu den Anforderungen am Arbeitsplatz steht. Diese haben sich im Zeitablauf sicherlich gewandelt. Anstelle„puritanischer Tugenden“, wie z.B. Präzision, Pünktlichkeit, Fleiß und Pflichterfüllung, werden„kommunikative Tugenden“ als wichtiger angesehen, wie z. B. Teamarbeit, eigene Meinung, Offenheit, Verträglichkeit, Zuhören, Humor, für andere da sein. Dies gilt insbesondere für die jüngeren Mitarbeiter zwischen 20 und 40 Jahren. Mit zunehmendem Lebensalter findet man den„Kombinationstyp“, der eine moderne, kommunikative Arbeitsmoral mit konservativen Tugenden verbindet“.8