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Lernen in den Klassen 5 und 6 : Werkstattheft / [Universität Potsdam. Hrsg.: Direktorium des Instituts für Grundschulpädagogik]. Wiss. Red.: Barbara Wegner
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Die Institution Grundschule wird die Bedingungen, die sie für das Lernen und Leben ihrer Kinder bereitstellt, mehr oder weniger drastisch je nach Situation verändern müssen. Der Förder- und der Lernbegriff werden zu erweitern sein. Beispielsweise wird fördern zukünftig auch bedeuten müs­sen, ein Kind in seiner Gefühlslage soweit zu stabilisieren oder in seiner Konzentrationsfähigkeit so zu stärken, daß es überhaupt erstaufnahme­bereit für schulisches Lernen und Arbeiten wird. Was die Grundschule bei ihrer ständig anspruchsvoller werdenden Praxis immer weniger verkraften kann, sind Zeit-, Lehrplan- und Selektionsdruck. Deshalb sollte eine sechsjährige Grundschule zumindest bis zum 4. Schuljahr von jeder Lei­stungsbeurteilung anhand des Notensystems freigehalten werden.

Zusammengefaßt ergeben sich für eine sechsjährige Grundschule gegen­über einer Förderstufe/Orientierungsphase im Sekundarbereich I oder einer schulformunabhängigen Orientierungsstufe drei entscheidende pädagogi­sche Vorteile.

1. Die Schüler/-innen können in einem durchgängigen Bildungsgang ver­bleiben, ggf. kann dadurch ein weiterer Schulwechsel vermieden wer­den.

2. Die in der Grundschule praktizierten Lehr-/Lernformen, Arbeits- und Unterrichtsverfahren unter besonderer Berücksichtigung eines ganzheit­lichen Lernbegriffs, einer umfassenden individuellen und sozialen För­derung sowie eines pädagogischen Leistungsverständnisses könnten(in den Klassen 5 und 6) übergangslos fortgesetzt werden. Die Grundschule würde als sechsjähriger Bildungsgang im gesamten Schulwesen gegen­über den weiterführenden Schularten aufgewertet werden, was sowohl für ihre Reformnotwendigkeit als auch ihr Reformpotential nur gut wä­re.

3. Mit der gemeinsamen Unterrichtung bei gleichzeitig zunehmender fach­licher Leistungsdifferenzierung in den Jahrgangsstufen 5 und 6 würde die sechsjährige Grundschule eine Orientierungsfunktion hinsichtlich der subjektiven Lernmöglichkeiten und den objektiven Anforderungen der weiterführenden Schulen haben. Durch den Einsatz von Lehrer/­innen aus allen Schulformen des Sekundarbereichs I könnte nicht nur eine deutlich verbesserte Kooperation zwischen diesen und der Grund­schule erreicht werden, sondern vor allem praktisches Wissen über das schulische und außerschulische Lernen von Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren gewonnen und den weiterführenden Schulen vermittelt wer­den.

Daß die schulformabhängige Orientierungsstufe hier nicht erwähnt wird, liegt in ihr selbst begründet. Denn jede Form gemeinsamen Lernens in den Klassen 5 und 6 stellt gegenüber diesem Modell einen er­heblichen pädagogischen Fortschritt dar.

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