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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
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Fingern auf mich und rügten aus der Ferne mein Benehmen. Ich aber ſetzte es fort, wollte nicht einmal die Lippen mehr bewegen, weshalb auch ſchon ein Chaſſide mit drohendem Finger ſich näherte. Aber auch ein zweiter, dritter und vierter kam bald heran, klopften den im Gebete vertieften Samuel an die Schulter und rügten mit Miene und Geberde meine verwegene Ruhe, da die Sprache des Umgangs während des Betens nicht lautbar werden darf. Samuel wurde blaß, doch konnte und durfte er nicht reden und winkte mir nur mit den Brauen. Ich achtete wenig darauf und ſah viel­mehr mit trotzender Schärfe den mahnenden Chaſſidim ins Auge. Und wie ich ſie anſah, kam mir mein Benehmen als eine höhere Pflicht vor, darum warf ich mit Macht das Ge­betbuch auf den hölzernen Tiſch und verließ raſch die Synagoge.

Furchtlos, weil frei von innerm Vorwurf, ging ich über die leeren Plätze des Städtchens und kam auf die blumigen Wieſen bis an die Saatfelder, wo ruhende Schnitter ihre Senſen ſchärften und auch ihr mittäglich Mahl verzehrten. Dieſer Anblick ſowohl als auch die friſche Luft weckten in mir des Hungers Begierde, da ich noch faſtete und ſo ging ich ohne Bedenken zu einer rutheniſchen Bäuerin, kaufte mir Brod und Zwetſchken, ſetzte mich ſacht an eine Gartenhecke und ſättigte mich mit Behagen. Nachdem ich mein Mahl verzehrt, luſtwandelte ich über die Haide dahin und dorthin und mich umkreiſten niedrig die ſeltſam geflügelten Schwalben. Mit ihnen vollbrachte ich den ganzen Nachmittag und ſtaunte, daß ſie mich immer, ohne was zu verlangen, in weiten Bogen umkreiſen, ſelbſt wenn ich die Stelle verändert.

Nachdem der Abend herankam, kehrte ich wieder zurück zur Synagoge und da hörte ich ſchon denletzten Wunſch der Himmelsſtürmer ſiebenmal erſchallen: ‚Nächſtes Jahr in Jeruſalem ! Nächſtes Jahr in Jeruſalem ! Alles verließ