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Bewußtſein davon nur aus den Erniedrigungen aller Art ſeine Nahrung bezieht, ich wäre vollkommen mit meinem Schickſale zufrieden geweſen, ſo aber verfiel ich oft in den trübſten Schwermuth und konnte nur durch Thränen mir Erleichterung ſchaffen. In dieſem Haufe empfand ich erſt auf das Tiefſte, daß ich in der Fremde war. Ich beſtaunte nichts mehr, ich bewunderte nichts mehr, nichts, was ich unter den Menſchen fand, machte mich traumverloren. Baar von allem Reiz und Zauber ſtanden ſie alle vor mir, denn Kälte des Winters wehte aus ihren Zügen mich an. So verlebte ich die beſte Zeit meiner Jugend, die Zeit, von der die Dichter ſingen, daß alles liebt, küßt und an treuen Augen ſich berauſcht. Ich ſaß allein auf meinem Koffer; man ging an mir vorüber und man ſah mich nicht; Auge in Auge war nie mein Theil, nie meine Koſt— ſelbſt der Stern des w, lachte nie in meine Seele.
Aber der verborgen waltende Gott, der nich nur durch dieſe Iſolirung verhinderte aus mir ſelbſt herauszutreten (es ſei denn, daß ich mich ganz erkannt habe), zeigte mir wie unächt der gewöhnliche Geſelligkeitstrieb der Menſchen iſt, wie phyſiſch nur die Neigungen ihrer Herzen find, nachdem ſie den Fremden, ſeiner Armuth wegen, ungeachtet ſeiner Liebe zum Guten und Cdlen, aus ihrem engern Kreiſe verbannen. Ihre Freuden, ihre Scherze, ihre Verſtimmungen, ihre Unterhaltungen, verwarf im Stillen mein Geiſt als etwas Leeres, Werthloſes, und ſo lernte ich das Weſen der Eigenſucht verabſcheuen, das Weſen der Eitelkeit, der Hoffart, der Spottſucht, der Falſchheit und Liebloſigkeit. Und es ſchrie mein Herz und ſuchte Genugthuung, ſuchte wenigſtens uach einem Worte das all dieſe Laſter insgeſammt hätte aufwiegen können. Ich fand es auch auf der Seite eines Buches und klammerte mich daran mit der ganzen Kraft des Gemüthes, es war