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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
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das ſeltſame Wort:Tugend. Ach, wie nahm das mich gefangen! Faſt hatte es mir Sonne, Mond, Sterne und die ganze äußere Natur aus dem Herzen verdrängt, ſo liebens werth kam es mir vor. Eine neue Welt dämmerte in meinem Geiſte auf: die Welt desguten Willens und es arbeitete in mir, wie ihm das Anſehen eines Univerſums zu geben wäre. Freilich ahnte ich nicht, daß Gott hiedurch einen Schritt näher an mich gethan, um ſich ſelber mir zu geben, aber ich trug noch an meinen Augen die Binde der Erkennt­nißloſigkeit, ich ſah nicht den, der vor mir ſtand und ſo empfand ich bloß die Welt als ſittlich Ganzes, als das Eigentlichſte, was da ſein ſoll und nicht iſt. Da aber die Erſcheinungswelt eine unendliche Symbolik iſt von dem, was ich empfand, ſo erwachte für mich ein Intereſſe an der Natur, welches mich vor jeder Schwärmerei in Schutz nahm, und es freute ſich mein Herz, als ich da und dort ein Bild gefunden, das geeignet war Vernünftiges zu veranſchaulichen, wozu mir freilich damals die Darſtellungskraft fehlte. Ben Zion Barat ſagte mir, daß man dergleichendichten nenne, und da ging mir ein Licht auf über den Ausdruck, den der muſenbefreundete Hermann oft und oft im Munde führte. O, ſprach ich zu Ben Zion Barat,wenn das dichten heißt, ſo wollte ich in meinem Leben nichts als das ich wollte Dichter werden!Dazu, meinte er aber,wärſt du ſchon zu alt, denn es hat Dichter gegeben, die in deinen Jahren ſchon auf der Hochſchule waren. Du haſt ja gar kein Wiſſen, dir geht eine ganze Vergangenheit ab, nämlich, die Weltgeſchichte, ohne welche du zwar mit der Zeit ſchöne Gedichte ſchreiben kannſt, aber ohne Nutzen und Frommen für die Menſchen im Allgemeinen, ohne Nutzen für dich, denn du kannſt auch dabei verhungern. Ich verlangte von ihm

eine Weltgeſchichte; er gab mir auch eine, aber ſchon nach