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den erſten zehn Blättern legte ich ſie wieder aus der Hand und las lieber jene Bücher, die mir die Vergänglichkeit des Erdenlebens ſchilderten. Ich forſchte hierauf nach dem Erſatz, ohne welchen die Verachtung des Erdenlebens kein erhebendes Gefühl iſt und da entdeckte ich zufällig im„Phädon“ die„Unſterblichkeit der Seele“ und daß das irdiſche Leben im beſten Sinne genommen nur eine„Uebung im Sterben“ ſei, weßhalb denn die Armuth als ein Geſchenk des Himmels erachtet wird. Ich freute mich ſehr mit dieſer neuen Entdeckung und blickte über all die Leute hinweg, die ihr Wohlſein mehr lieben als die Tugend.
Achtzehn Jahre war ich alt geworden und ſchon hatten die allerwichtigſten Begriffe des denkenden Geiſtes:„Nichtigkeit“ und„Ewigkeit“, in meinem Gemüthe Wurzel gefaßt. Furcht, Schrecken, Haſt, Ueberſtürzung und all jene Affecte, die den Menſchen um die Gefühle ſeiner Sicherheit bringen, verloren für mich zum Theil ihre Herrſchaft über das Beſinnungsbermögen, welches aber durch folgendes Ereigniß zu einem Selbſtgefühl der Unanfechtbarkeit ſich geſteigert hatte.
Ein feuriger Komet, wie ihn die Welt ſchon lange nicht geſehen, kam mit dämoniſcher Wucht die Höhen des Himmels herab. Jeglichen Abend ſtellte er ſich an den erdnahen Weſten hin und mit ſprühendem, mächtig geſchweiftem Strahl, züngelnd nach der Mitte der Wölbung, raubte er den andern Sternen die holdſelige Anmuth, und erſchreckte die Herzen der Menſchen.— Furcht-geſellig eilten{ie allabendlich an einander, in Gruppen umſtanden ſie die Ecken der Häuſer, allerlei Ahnungen hegend über Krieg, Brand, Peſt und baldige Weltzerſtörung. Je gewaltiger der Strahl des Kometen geworden, deſto drohender erſchien ihnen fein Stand und völlige Lähmung im geſchäftlichen Treiben ſchlug Sinn und Gefühl in peinliche Haſt. In Kreuz und Quer durchzogen die Chaſſidim