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Der Weg meines Lebens : Erinnerungen eines ehemaligen Chassiden / von Josef R. Ehrlich ; mit einem Vorworte von Josef Weilen
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den erſten zehn Blättern legte ich ſie wieder aus der Hand und las lieber jene Bücher, die mir die Vergänglichkeit des Erdenlebens ſchilderten. Ich forſchte hierauf nach dem Er­ſatz, ohne welchen die Verachtung des Erdenlebens kein er­hebendes Gefühl iſt und da entdeckte ich zufällig imPhädon dieUnſterblichkeit der Seele und daß das irdiſche Leben im beſten Sinne genommen nur eineUebung im Sterben ſei, weßhalb denn die Armuth als ein Geſchenk des Himmels erachtet wird. Ich freute mich ſehr mit dieſer neuen Ent­deckung und blickte über all die Leute hinweg, die ihr Wohl­ſein mehr lieben als die Tugend.

Achtzehn Jahre war ich alt geworden und ſchon hatten die allerwichtigſten Begriffe des denkenden Geiſtes:Nichtigkeit undEwigkeit, in meinem Gemüthe Wurzel gefaßt. Furcht, Schrecken, Haſt, Ueberſtürzung und all jene Affecte, die den Menſchen um die Gefühle ſeiner Sicherheit bringen, verloren für mich zum Theil ihre Herrſchaft über das Be­ſinnungsbermögen, welches aber durch folgendes Ereigniß zu einem Selbſtgefühl der Unanfechtbarkeit ſich geſteigert hatte.

Ein feuriger Komet, wie ihn die Welt ſchon lange nicht geſehen, kam mit dämoniſcher Wucht die Höhen des Himmels herab. Jeglichen Abend ſtellte er ſich an den erdnahen Weſten hin und mit ſprühendem, mächtig geſchweiftem Strahl, züngelnd nach der Mitte der Wölbung, raubte er den andern Sternen die holdſelige Anmuth, und erſchreckte die Herzen der Menſchen. Furcht-geſellig eilten{ie allabendlich an ein­ander, in Gruppen umſtanden ſie die Ecken der Häuſer, allerlei Ahnungen hegend über Krieg, Brand, Peſt und baldige Welt­zerſtörung. Je gewaltiger der Strahl des Kometen geworden, deſto drohender erſchien ihnen fein Stand und völlige Läh­mung im geſchäftlichen Treiben ſchlug Sinn und Gefühl in peinliche Haſt. In Kreuz und Quer durchzogen die Chaſſidim