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Sonderheft 2, Zur Entstehungs und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane
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und dies habe ich ja auch mit meiner Stine erreicht. - Ich möchte noch ein Wort sagen dürfen. Ich schreibe alles wie mit einem Psychographen (die grenzenlose Düftelei kommt erst nachher) und folge, nachdem Plan und Ziel mir feststehn, dem bekannten .dunklen Drange. Es klingt ein bißchen arro­gant, aber ich darf ehrlich und aufrichtig sagen: es ist ein natürliches, unbe­wußtes Wachsen. Wenn nun bei diesem Naturprozeß eine sentimentale und weisheitsvolle Lise wie diese Stine herauskommt, so muß das einen Grund haben, denn im ganzen wird man mir lassen müssen, daß ich wie von Natur die Kunst verstehe, meine Personen in der ihnen zuständigen Sprache reden zu lassen. Und nun spricht diese Stine im Stine-Stil statt im Lene-Stil. Warum? Ich denke mir, weil es eine angekränkelte Sentimentalwelt ist, in die sie, durch ihre Bekanntschaft mit Waldemar, hineinversetzt wird. Und so wird die Sentimentalsprache zur Natürlichkeitssprache, weil das Stück Natur, das hier gegeben wird, eben eine kränkliche Natur ist. Dadurch geht freilich ein Reiz verloren, und an die Stelle von Seeluft tritt Stubenluft, aber der psychologische Prozeß, Vorgang und Ton sind eigentlich richtig. Diese Verteidigung oder Erklärung hat aber nur das Ganze im Auge, versucht eine Rechtfertigung des speziell eingeschlagenen Einzelweges, von dem ich nach wie vor selbst überzeugt bin, daß er geschickter und glücklicher hätte gewählt sein können.»

Wenige Tage später, am 17. Juni 1888, ergänzt Fontane diesen selbstkriti­schen Brief durch einige Mitteilungen: «Suchen Sie für Überreichung von ,Stine eine möglichst stille Woche aus, vielleicht die übernächste, wenn Kammer und Reichstag wieder nach Hause geschickt sind. Beiläufig: den Charakter Stines werde ich noch - so gut so was nachträglich geht - zu moti­vieren suchen. Meine Frau hat mir einen guten Rat gegeben, ein Einschieb­sel von nur drei Zeilen, das aber doch erheblich helfen wird.» Fontanes Bitte kam jedoch zu spät. Schlenther hatte das Manuskript bereits an Stephany übermittelt, und das « Unwahrscheinlichste», auf das Fontane gesetzt hatte, die Annahme des Manuskriptes zum Vorabdruck, trat nicht ein. Obwohl sich Schlenther offensichtlich stark für ,Stine engagiert hatte, stimmte Stephany der Veröffentlichung nicht zu. Das Nein mochte ihm schwergefallen sein, be­deutete es doch eine Zurücksetzung des langjährigen Mitarbeiters Fontane; aber Stephany konnte sich nicht frei entscheiden, er stand unter dem massi­ven Druck des bourgeoisen Publikums, das ein Jahr zuvor den Abdruck von «Irrungen, Wirrungen» als bedauerlichen, ja unentschuldbaren Fauxpas gegen Sitte und Anstand betrachtet hatte. Fontane selbst nahm die Ent­scheidung des Chefredakteurs mit ruhiger Gelassenheit hin, wenn er auch mit kräftigen Worten einen Schlußstrich unter dieses peinliche Kapitel zog. Kein Wunder freilich, daß er in dem Brief vom 22. Juni noch einmal auf jenen Vorfall anspielt, der schließlich Stephanys Entscheidung im Falle von ,Stine beeinflußte: «Eben kommt das Paket. Es ist ganz ehrlich, wenn ich Ihnen versichere: .Eigentlich ist es mir lieb, es wieder in Händen zu haben.