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Sonderheft 2, Zur Entstehungs und Wirkungsgeschichte Fontanescher Romane
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Aus: Theodor Fontane, Aufzeichnungen zur Literatur.

Ungedrucktes und Unbekanntes. Hrsg, von Hans-Heinrich Reuter

Die gesellschaftliche Stellung des Schriftstellers in Deutschland (Auszug)

Exemplifizieren wir - selbstverständlich nur aus der Reihe solcher, die auch Jahre haben und vollkommen etwas sind und nehmen wir eine allerbeste Nummer. Vielleicht die beste: Paul Heyse.

Heyse ist jetzt einundfünfzig Jahre, er hat auch einen Orden (von dem er keinen Gebrauch macht), der ihm den persönlichen Adel verleiht. Also, wenn man so will: v. Heyse.

Er wurde viel als eine Art Wunderkind angesehn und darf mit Platen sagen: «Und schon als Jüngling hab ich Ruhm genossen.» Mit dreiundzwanzig wurde er nach München berufen und gehörte dem illustren Kreise an - Emanuel Geibel, Heinrich v. Sybel, Justus v. Liebig, Moritz Carriere, Wilhelm Heinrich Riehl, den König Max um sich versammelte. Seine Werke sind bekannt. Er hat ungefähr hundert Novellen geschrieben, dar­unter Perlen unserer Literatur. In den « Erzählungen in Versen » steht er un­übertroffen da. Die Zahl seiner Dramen beläuft sich auf beinah zwanzig, einige darunter haben große Bühnenerfolge erzielt. Im Lyrischen hat er Ent­zückendes geleistet. Weniger die Romane. Jede Form der Dichtung hat er erfolgreich kultiviert, nicht jede mit gleich mächtigem Erfolg, aber jede mit Meisterschaft. Er steht in meinen Augen an Wissen, Talent, Erscheinung und Haltung unübertroffen da.

So viel ist tatsächlich gegeben. Und nun sei damit seine gesellschaftliche Stellung verglichen. Sie ist gewiß eine sehr gute, aber ich wage den Aus­spruch, daß diese gesellschaftliche Stellung dieselbe wäre, wenn er gar kein Schriftsteller wäre; ja, es existieren Kreise, in denen er als Nicht-Schrift­steller günstiger stände. Heyse ist vermögend, er hat ein Haus und macht ein Haus, dazu seine eminenten gesellschaftlichen Gaben: all das sichert ihm eine gesellschaftliche Stellung; aber ich behaupte, daß diese gesellschaftliche Stellung dieselbe wäre, wenn er nie ein Sonett, ein Drama, eine Novelle ge­schrieben hätte. Es wird ihm auf all das hin nichts zugute getan.

Ein Beweis dafür ist nicht ganz leicht zu führen, aber er ist doch schließlich zu führen. Man denke sich eine Gesellschaft, in der sich ein gleichalteriger Durchschnitts-Unterstaatssekretär, zwei Durchschnitts-Ministerialdirektoren, fünf Obersten von der Garde, Geheimrat Friedrich Theodor v. Frerichs, Generalsuperintendent Rudolf Kögel, Geheimrat Ernst v. Leyden, Geheim­rat Maximilian Wolfgang Duncker, ein paar Parlamentarier, ein Durch­schnittsoberst oder auch -generalmajor und ein Professor - der entweder ein stoffliches Buch über Staatsrecht oder über Leberkrankheiten geschrieben hat - befinden: ich sage, man denke sich eine solche Gesellschaft. Und nun

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