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Deutsche Rundschau.
Er unterbrach sich in diesen Betrachtungen, weil er nach der Uhr sah und wahrnahm, daß es bereits aus elf ging. Er hatte sich also zu beeilen, wenn er bis zum Eintreffen des Schleppegrellffchen Ehepaares angekleidet und marschfähig sein wollte. Wie mochten übrigens draußen die Wege sein? Kurz vor Mitternacht war Regen gefallen, und wenn der Südost ein gut Theil davon auch wieder ausgetrocknet hatte, so wußte er doch von Holkenäs her, daß Parkwege nach Regenwetter meist schwer passirbar sind. Er wählte denn auch die Kleidung danach, und kaum, daß er mit seiner Toilette fertig war, so kamen beide Schleppe- grell's auch schon über den Schloßhof. Er rief hinunter, daß sie sich nicht hinauf bemühen sollten, er werde das Fräulein abholen und gleich bei ihnen sein. Und so geschah es denn auch, und ehe fünf Minuten um waren, durchschritt man, vom großen Frontportal her, die ganze Tiefe des Schlosses und trat, an dessen Rückseite, durch ein gleich großes Portal in den Park ein. Hier traf man auch Erichsen, der eben von einem anderthalbstündigen Gesundheitsspaziergange zurückkehrte, sofort aber Bereitwilligkeit zeigte, sich an dem neuen Spaziergange zu betheiligen. Das wurde begrüßt und bewundert. Erichsen bot Ebba seinen Arm, und Holk folgte mit der kleinen Pastorsfrau, während Schleppegrell die Führung nahm. Er trug, wie bei der ersten Begrüßung aus dem Hilleröder Marktplatze einen mantelartigen Rock, der, ohne Taille, von den Schultern bis auf die Füße ging, dazu Schlapphut und Eichenstock, mit welch' letztrem er allerhand große Schwingbewegungen machte, wenn er es nicht vorzog, ihn in die Luft zu werfen und wieder auszufangen.
Holk, so viel lieber er an Ebba's Seite gewesen wäre, war doch sehr verbindlich gegen die Pastorin und bat sie, für den Fall, daß er persönlich nicht dazu kommen sollte, ihrem Manne sagen zu wollen, wie sehr er sich über die Zusendung gefreut habe; kaum minder freilich Hab' er ihr selber zu danken, denn daß die Abschrift von ihrer Hand sei, das sei doch Wohl sicher.
„Ja," sagte sie. „Man muß sich untereinander Helsen, das ist eigentlich das Beste von der Ehe. Sich helfen und unterstützen und vor Allem nachsichtig sein und sich in das Recht des Andern einleben. Denn was ist Recht? Es schwankt eigentlich immer. Aber Nachgiebigkeit einem guten Menschen gegenüber, ist immer recht."
Holk schwieg. Die kleine Frau sprach noch so weiter, ohne jede Ahnung davon, welche Bilder sie herausbeschwor und welche Betrachtungen sie in ihm angeregt hatte. Die Sonne, die frühmorgens so hell geschienen, war wieder fort, der Wind hatte sich abermals gedreht, und ein seines Grau bedeckte den Himmel; aber gerade diese Beleuchtung ließ die Baumgruppen, die sich über die große Parkwiese hin vertheilten, in um so wundervollerer Klarheit erscheinen. Die Luft war weich und erfrischend zugleich, und am Abhang einer windgeschützten Terrasse gewahrte man allerlei Beete mit Spätastern; überall aber wo die Parkwiese tiefere Stellen hatte, zeigten sich große und kleine Teiche, mit Kiosks und Pavillons am User, von deren phantastischen Dächern allerlei blattloses Gezweige herniederhing. Ueberhaupt Alles kahl. Nur die Platanen hielten ihr Laub noch fest, aber jeder stärkere Windstoß, der kam, löste etliche von den großen gelben Blättern und streute sie weit über Weg und Wiese hin. In nicht allzu großer