30
Deutsche Rundschau.
Reikjawik ein Stiftsamtmann oder auch bloß ein Sysselmann gewählt wird, so ist das gerade so interessant, wie wenn sich die Kopenhagner einen neuen Burge- meister wählen. Ach, Königliche Hoheit, ich möchte beinah sagen, es ist überhaupt kein Unterschied zwischen einem Dorf und einer Residenz; überall wohnen Menschen und hassen und lieben sich, und ob eine Sängerin eine Minute lang einen Triller schlägt, oder ob ein Fiedler den „dappren Landsoldaten" spielt, das macht keinen großen Unterschied, wenigstens mir nicht." Bei solchen Betrachtungen war er der heitersten Zustimmung der Prinzessin allemal sicher, und wenn Pentz und Ebba fragten: „ob Königl. Hoheit nicht doch vielleicht Ihren Leibarzt, vr. Wilkins, beföhlen, der ohnehin nichts zu thun habe und dann und wann daran erinnert werden müsse, daß er sein Gehalt eigentlich doch bloß für eine Sinekure bezöge," so lehnte die Prinzessin dies ab und sagte: „Nein, am Sterben bin ich noch nicht. Und wenn ich am Sterben wäre, so würde mich vr. Wilkins, der Alles liest, aber nicht viel weiß, auch nicht zurückhalten können. Was irgend ein Mensch für mich thun kann, das thut Bie für mich, und wenn ich ihm eine halbe Stunde zugehört und während seiner Erzählungen im Rennthierschlitten mit ihm gesessen oder Wohl gar bei Missionar Dahlström eine rothe Grütze mit ihm gegessen habe, so habe ich bei solcher Gelegenheit allemal das gehabt, was man die heilsame Gegenwart des Arztes nennt; „msäieo xraesante", so heißt es ja Wohl, da ruht die Krankheit. Nein, Bie muß bleiben. Und was würde seine Schwester zu solcher Kränkung sagen, die gute, kleine Pastorin, die ihn für so berühmt hält Wie Boerhave und ganz aufrichtig denkt, daß man die alte Geschichte wieder beleben und mit voller Sicherheit des Eintreffens vom Nord- oder Südpol aus an ihn schreiben könnte: „An vr. Bie in Europa".
-!- -t-
Die Krankheit der Prinzessin, so wenig gefährlich sie war, zog sich hin. Der König, inzwischen eingetroffen, hatte mit den Personen seiner nächsten Umgebung den linken Flügel bezogen und beschränkte sich, was die Prinzessin anging, darauf, sich jeden Tag nach dem Befinden derselben erkundigen zu lassen. Sonst wurde man seiner kaum gewahr, was theils mit seiner häufigen Abwesenheit drüben in Skodsborg, theils mit seiner Lebensweise zusammenhing. Er liebte nun mal die Vergnügungen im Freien. War nicht Hetzjagd, so war Pirschjagd, und war nicht Dachsgraben, so war Graben nach Steinbetten und Moorsunden, ja mitunter war er bis Vinderöd und Arreseedal hinüber, um von dort aus, wo seine Boote lagen, auf dem großen Arre-See zu segeln.
Holk, der die Capitäne Westergaard und Lundbye noch von Schleswig und Flensburg her, wo sie vorübergehend in Garnison gestanden hatten, gut kannte, suchte den Verkehr mit ihnen zu erneuern, was auch gelang und ihm dann und wann ein paar vergnügliche Plauderstunden eintrug; aber wenn er dann wieder allein war und nach Holkenäs hinüber dachte, kam ihm ein Gefühl schwerer Verlegenheit und Sorge. Das ging nicht so weiter. Die Korrespondenz zwischen ihm und Christine stockte völlig; aber auch die Briefe von Petersen und Arne waren noch unerledigt. Dieser letztere wenigstens mußte beantwortet werden (schon eine Woche war seit seinem Empfange vergangen), wenn er's nicht auch mit dem noch verderben wollte, der allezeit sein bester Freund und Berathel