Kundert Zahle italienischer Bildnißmalerei.
Von
Karl Woermann.
Das Bildniß ist das Alpha und Omega aller Malerei. Lehrt die biblische Geschichte, daß die Gottheit den Menschen nach ihrem Bilde schuf, so zeigt die Kunstgeschichte, daß der Mensch sich seine Götter nach seinem eigenen Bilde gestaltete. Die künstlerische Schöpfung glaubwürdiger Jdealwesen hat die Fähigkeit, wirkliche Gestalten wiederzugeben, zur Voraussetzung. — Zwischen der Nachbildung bestimmter Menschen, um sie zu geschichtlichen oder mythologischen, weltlichen oder heiligen Darstellungeü zu verarbeiten und der Abbildung um ihrer selbst willen, ist die Grenze allerdings nicht immer, aber doch in den meisten Fällen, zu ziehen. Schon im Kindesalter der Kunst gehen Versuche, Bildnisse darzustellen, mit den Bemühungen, religiöse Vorstellungen festzuhalten, Hand in Hand. In den Blüthezeiten der Malerei sind die bedeutendsten Maler heiliger und weltlicher Geschichten in der Regel Zugleich die tüchtigsten Bildnißmaler. In den Verfallzeiten aber, welche gedankenlos mit einer überlieferten Formensprache schalten, gewährt die Bildnißmalerei eines Künstlers oft sogar den einzigen Maßstab zur Beurtheilung seiner wirklichen Leistungsfähigkeit. Am deutlichsten zeigen dies die nordischen und italienischen Maler der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Von den „Historien" eines Frans Floris in Antwerpen oder eines Angelo Bronzino in Florenz wenden wir uns mit Mißbehagen ab; ihren Bildnissen gegenüber aber verstehen wir, weshalb sie von ihren Zeitgenossen als bedeutende Künstler gefeiert wurden. Und nichts ist erklärlicher als dies. Der Zeitgeschmack kann für alle übrigen Vorstellungen jede Fühlung mit der Natur verloren haben; die Aufgabe, ein Bildniß zu malen, aber führt von selbst zur Natur und zum Leben zurück.
Die Geschichte der Bildnißmalerei spiegelt daher die ganze Entwicklungsgeschichte des eigentlichen malerischen Könnens, besonders im technischen Sinne, am unverfälschtesten Wider. Den ersten unbeholfenen Versuchen, die äußeren Züge des Vorbildes, wie im Schattenriß von der Seite gesehen, einigermaßen wiederzugeben, folgt zunächst nur die Fähigkeit, diese äußeren Züge zu einem charakteristischen Formenganzen zusammenzufassen. Profilköpfe und Brustbilder,