Hundert Jahre italienischer Bildnißmalerei.
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in denen sich bereits die Hauptzüge des inneren Charakters der Persönlichkeiten aus- drücken, werden sodann schon dargestellt in Zeiten, denen es noch versagt ist, die ganze Gestalt, die Hände oder auch nur Kops und Brust in freierer Haltung charakteristisch zu erfassen. Immerhin steht die Bildnißkunst auf dieser Stufe schon wesentlich höher als das Handwerk des Photographen, der nur vorübergehende, zufällige Mienen und Gebärden auf die Fläche zu bannen vermag. Noch später gelingt es dem Maler, das Stoffliche des Fleisches, des Haares, der Kleidung in seiner vollen Eigenthümlichkeit nachzubilden, zugleich jeder beliebigen Kopfhaltung und Körperstellung gerecht zu werden und, wie den Charakter, so auch die Gemüthsart und die Seele des Dargestellten sich nicht nur in dem leuchtenden Glanze der Augen und dem feinen Linienspiele der Gesichts Muskeln, sondern auch in der Bildung, der Färbung, dem Hautgewebe der Hände und in der Bewegung der ganzen Gestalt deutlich Widerspiegeln zu lassen. Auf der höchsten Höhe ihrer Entwicklung macht die Bildnißmalerei uns mit ganzen, vollen Persönlichkeiten bekannt, die uns selbst Wider ihren Willen ihr von dem durchdringenden Blicke des Künstlers aufgedecktes und hervorgeholtes innerstes tische Wesen offenbaren. In ihren Gesichtern steht dann auch, wie Giovanni Morelli ^ ^ ausdrückt, „immer ein Stück Geschichte ihrer Zeit zu lesen, falls man darin
k 6e- zu lesen versteht".
Lhig- Bon unserem Jahrhundert abgesehen, welches, wie in vielen Dingen, so auch
ttach- kn der Bildnißmalerei, beinahe von vorn wieder anfangen zu müssen glaubte, Effekt- diese Kunst erst zweimal, so lange die Erde steht, alle jene Entwicklungs- ihrer stufen durchlaufen, einmal zur Zeit der alten Griechen, einmal im Renaissance- üsten Zeitalter. Was dazwischen liegt, ist gerade auf dem Felde der Bildnißmalerei wisse wüst und leer.
ld in Bon der Bildnißmalerei der alten Griechen haben wir freilich erst seit
iliger Kurzem, seit der Wiederauffindung jener hellenistisch-ägyptischen Sarkophagbild- nisse der Verfallzeit, die in verschiedenen Städten Europa's ausgestellt worden >rache sind, eine so lebendige Anschauung gewonnen, daß wir uns nun wenigstens durch
Naß- Rückschlüsse die Bildnisse der Blüthezeit der griechischen Malerei vergegenwärtigen
Zeigen können; aber schon die Schriftquellen reichten aus, uns die ganze Entwicklung
Hahr- ahnen zu lassen. Denn wenn einerseits eine sinnige griechische Werkstattssage
eines die Erfindung der Malerei auf die Tochter des Dibutades zurückführte, welche
Bild- beim Abschied von ihrem Geliebten dessen vom Lichte an die Wand geworfenes
s be- Schattenbild nachgezeichnet habe, so ist damit der Bildnißmalerei ein hohes Alter
Der angewiesen und ihre erste Entwicklungsstufe deutlich, wenn auch sagenhaft um-
katur schrieben, gekennzeichnet; und wenn andererseits Alexander der Große in Bezug
t zur auf eines seiner Bildnisse von der Hand des Apelles zu sagen pflegte, es gebe
zwei Alexander, den unbesiegten Sohn des Philipp und den unnachahmlichen des mgs- Apelles, so seht dieses Urtheil doch voraus, daß das Bildniß des makedonischen
>inne, Hofmalers, dessen Leistungen bekanntlich die reifste technische Entwicklung der
ßeren antiken Malerei bezeichnten, auch in geistiger Beziehung der Stufe der höchsten
raßen Vollendung angehört habe. Zwischen jenen Anfängen und dieser Höhe müssen
ünern natürlich eine Reihe von Zwischenstufen gelegen haben, die wir in der Kunst der
ilder, alten Welt gerade auf dem Gebiete der Bildnißmalerei nicht verfolgen können.