Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

Um so deutlicher treten sie uns in der Kunst des Zeitalters der Wiedergeburt entgegen. Die Entwicklung hielt im vlämischen Norden und italienischen Süden einigermaßen gleichen Schritt. Doch sehlen sür den Norden die Uebergangs- glieder aus der Zeit der Versuche des Mittelalters. Das Material ist für den Süden überhaupt klarer abgestuft, vollständiger und vielseitiger erhalten. In Italien können jwir die Entwicklung schon von der Zeit des ausgehenden Mittel­alters an, besonders deutlich aber vom Beginn des zweiten Drittels des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, die einen Abschluß bildet, verfolgen; und nichts ist anziehender, lehrreicher und logischer, als diese Entwicklungsgeschichte der italienischen Bildnißmalerei von der spröden, äußerlichen, mehr plastischen als malerischen Auffassung ihrer Anfänge bis zu der künstlerischen Reife und Vollendung ihrer Blüthezeit.

Vor dem 15. Jahrhundert gab es in der christlichen Zeitrechnung überhaupt keine bedeutsame Bildnißmalerei. Im Mittelalter bildete die Menschheit, von der Verschiedenheit der Völker abgesehen, eine gleichartige, von denselben Anschauungen und Gefühlen beherrschte Masse. Die scholastische Wissenschaft und die Kirche arbeiteten einander in die Hand, um jede Sonderregung und Sonderbeobachtung zu unterdrücken. Der freiere Geist der Neuzeit flammte zuerst in den großen italienischen Dichtern vom Ende des Mittelalters, in Dante und Petrarca, aust und es ist bezeichnend, daß sich mit diesen Namen von eigenartigem und ge­waltigem Klange auch so ziemlich die ältesten greifbaren Ueberlieserungen du Bildnißmalerei seit der Zeit der alten Griechen und Römer verknüpfen. Dante's Zeitgenosse, der berühmte slorentinische Maler Giotto, malte den Dichter der göttlichen Comödie" inmitten seiner Freunde, zu denen er sich selbst stellte, unter den Seligen des Paradieses auf einer Wand des Bargello zu Florenz. Die er­haltenen Bildnisse verrathen schon ein ehrliches Streben, zu individualisiren; st nehmen Theil an dem seinen, geistigen Zauber der ganzen Kunst Giotto's; doch sie bezeichnen in ihrer schattenrißartigen Einfachheit nur erst eine Vorstufe der ihrer eigenen Kraft sich bewußten Bildnißkunst. Von Petrarca's Zeitgenosse! aber, dem sienesischen Maler Simone Martini, erfahren wir, daß er eigens zr dem Zwecke nach Avignon pilgerte, um den Dichter der Sonette an Laura und diese selbst abzuconterseien. Schon vorher hatte Robert von Neapel ihm gesessen und sein erhaltenes Frescobildniß des Guidoriccio Fogliani de' Ricci in der Sali del Consiglio zu Siena flößt uns, obgleich Roß und Reiter in ihrer schlichten nach links gewandten Profilstellung noch befangen genug dargestellt sind und di Bildnißähnlichkeit offenbar nur recht allgemein gewesen ist, doch eine gewiß Achtung vor der Fähigkeit Simone's ein, bestimmte Menschen darzustellen. In Allgemeinen beweisen sonst gerade die großen gestaltenreichen Malereien dich Meister und ihrer zahlreichen Nachfolger im 14. Jahrhundert durch die siü überall wiederholende Gleichartigkeit ihrer Typen, von denen sich selbst die Bild nisse der hier und da schon mit dargestellten Stifter nur wenig unterscheiden daß auch die Maler des Mittelalters die Menschheit als gleichartige, vs denselben, zunächst religiösen Empfindungen beseelte Masse sahen.