Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

keit! Schon fast als Kniestück, in Dreiviertelansicht, ist die schöne Frau gemalt, Sie sitzt vor einer Mauer, über die man in eine leuchtende, großartige Berg­landschaft hinausblickt. Ihre seine rechte Hand ruht über der linken auf da Lehne. Ihr weiches Haar fällt lang herab. Ein Schleier bedeckt ihr Haupt, Ihre Augen haben den feuchten Glanz, den die Alten den Augen der Liebesgöttin zuschrieben. Ihre Lippen lächeln süß und verführerisch. Wie ein geheimnißvolle- Märchen voll unendlichen Reizes spricht dieses Bild uns an; und es ist doch nur das Bildniß einer reichen storentinischen Bürgerin des sechzehnten Jahrhunderts,

Wer in Italien zuerst gewagt hat, Brustbilder mit ihren ganzen Umrissen sich von einem weiten landschaftlichen Hintergründe abheben zu lassen, ist schtvei zu sagen. Eines der ältesten Beispiele bietet das erwähnte Doppelbildniß Pieu della Francesca's. Doch verträgt sich die strenge Profilstellung hier nur schlecht mit diesem Versuch. In der Uebergaugszeit vom fünfzehnten ins sechzehnte Jahi hundert waren die rein landschaftlichen Hintergründe eine Zeitlang außerorden! lich beliebt. Bon den bekanntesten Bildnissen dieser Art seien zunächst Pinto ricchio's Knabenbildniß der Dresdener Galerie und Francia's Darstellung de- Vangelista Scappi in den Uffizien noch einmal hervorgehoben. Francia folgt auch in anderen Bildnissen dieser Richtung. Franciabigio's und eines Zeitgenosse! schöne Jünglingsbildnisse im Berliner Museum schließen sich ihr an. Bk Raphael sehen wir sie in seinen berühmten Jugendbildnissen des Angelo und de Maddalena Doni im Palazzo Pitti ausgebildet. In der Schule Leonardo d ^ Vinci's kommen kaum Bildnisse ohne solchen landschaftlichen Hintergrund vm ' Statt aller Schulbilder unbestimmter Hand, die hierfür angeführt werden könnte« ^ seien nur Andr. Solario's herrliche Bildnisse in der Nationalgalerie zu Londo: ^ und im Louvre zu Paris erwähnt. Von der Hand Giovanni Bellini's, de ^ ebenfalls noch die Uebergangszeit erlebte, gehört die 1515 gemalte poesievoll ^ Darstellung einer ihr Haar ordnenden halbnackten sitzenden Frau in der kaisei ' lichen Galerie zu Wien hierher.

In den Bildern dieser Art dient die Landschaft jedoch mehr zur Folie, al * daß sie in demselben Lichte mit der vor ihr sitzenden Gestalt gesehen wäre. T ^ Bildnisse selbst sind noch von einer gewissen altertümlichen Strenge, zügle« ^ aber von wundersam poetischem Zauber umflossen. Sie bezeichnen ganze bestimm: . Uebergangsstufen in der Geschichte der Bildnißmalerei; und auf der höchsten dies: ^ Stufen steht eben Leonardo'sGioconda".

Darstellungen aber, wie Bellini's Frauengestalt in Wien, die man auch a! ^ Venus" bezeichnet hat, leiten zu einer besonderen Gattung von Halbbildnist ^ hinüber, die man auch als Jdealbildnisse bezeichnen könnte. Sie entsprang« ^ durchaus einem idealen Bedürsniß des jungen sechzehnten Jahrhunderts m fanden besonders aus venezianischem Boden weite Verbreitung. In Bezug o ^ sie könnte man jenen Ausspruch Lessing's wörtlich nehmen. Es sind wirkli ^ Ideale bestimmter Menschen". Offenbar hat der Künstler sie aber noch wenig ^ für die Dargestellten, als für sich selbst und fremde Käufer gemalt. Giorgio malte kräftige, edle Kriegergestalten, Palma Vecchio unzählige schöne Frauenkös ^ dieser Art. Tizian war Meister der Gattung. Man denke an seine beriW ^ in vielen veränderten Auflagen wiederholte und copirteVenus mit dem OH