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Deutsche Rundschau.
stellte und sie seinem Willen unterwarf. Sehen wir also, worin jene Gefahren bestanden und wie weit die angebliche Meinung Constantin's berechtigt war.
Mit dem Ausspruche seines Meisters, daß sein Reich nicht von dieser Welt sei, hatte das Christenthum bis dahin noch Ernst gemacht. Die Augen seiner Bekenner waren auf das Jenseits geheftet; das jüngste Gericht dachte man sich nahe bevorstehend, und vor den erwarteten Schauern desselben verschwand die Rücksicht auf die irdischen Dinge. Mit der weiteren und weiteren Ausdehnung der Christenzahl hatte sich diese großartige Strenge der Auffassung gemildert, war aber keineswegs verschwunden. Wohl bildeten sie einen Staat im Staat, aber nicht um diesen sich zu unterwerfen, sondern um unabhängig von seiner Einwirkung zu leben. Sie gehorchten der Obrigkeit, wie ihre Religion befahl, bezahlten ihre Steuern und freuten sich, wenn man sie im Uebrigen ungeschoren ließ. Daß es ihnen an Muth zur Vertheidigung ihres Glaubens nicht fehlte, haben Scharen von Märtyrern bewiesen; trotzdem haben die Christen niemals eine Verschwörung gegen einen ihrer Verfolger angezettelt, niemals den Versuch gemacht, mit bewaffneter Hand sich ihnen zu widersetzen oder durch Kaisermord einen genehmen Herrscher aus den Thron zu bringen. Eine Bedrohung der Staatsgewalt war deshalb nicht von ihnen zu fürchten, weil sie derselben gleichgültig gegenüber standen; nur in dieser Gleichgültigkeit selbst, im Abwenden so vieler Bürger von jedem Interesse für den Staat konnte man eine Gefahr erblicken. Diese aber wurde dadurch wahrlich nicht beseitigt, wenn der Kaiser durch Beispiel und Unterstützung zur Verbreitung dieser weltabgewandten Religion beitrug.
Für die Heiden bedienten sich ihre Gegner hauptsächlich zweier Namen, xa-Mni und MntilsL, d. h. Bauern und Barbaren. Damit sind die Kreise gegeben, in denen das Heidenthum noch am ungemischtesten herrschte, am unge- schwächtesten seine Kraft bewahrte. In den städtischen Bevölkerungen hatte die höhere Civilisation die Lust am Neuen und Fremden wachgerufen, die griechische Philosophie, deren halbverstandene Schlagworte auch in die Massen gedrungen waren, Zweifel an den alten Göttern erregt; hier fand das Christenthum daher die Stätte bereitet, um sich der Seelen zu bemächtigen. In die Dörfer dagegen und über die Reichsgrenzen hinaus, war der Hauch der neuen Zeit noch nicht gedrungen. Einzelne Glaubensboten erschienen zwar auch hier, aber die Macht des Ueberlieferten war zu groß, als daß sie viel hätten ausrichten können. Bauern und Barbaren aber bildeten das Heer, auf dessen guter Laune damals die Existenz jedes Kaisers beruhte. Wie viele Herrscher, darunter Constantin selbst, waren nicht durch die Zuneigung der Truppen erhoben worden; wie viele hatten ihre Abneigung mit Reich und Leben gebüßt! Und wie heute neben dem Bauern der Adel den Kern der conservativen Partei bildet, so auch im Alterthum. Die alten Familien des Senats, welche damals nicht nur in Rom und Italien wohnten, sondern schon über alle Provinzen verbreitet waren und überallhin ihren Einfluß trugen, waren durch ihre Traditionen zu fest an die alte Religion geknüpft, um sie so schnell aufgeben zu können. Die Bekleidung der Priesterthümer galt ihnen noch immer als eine der höchsten Ehren, die Ausrichtung von Spielen und Opferfesten als eine der glänzendsten Pflichten ihres Standes.