Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

schützten, lag außer jeder Berechnung. Rührte er sich aber auch ferner nicht, wie er bisher gethan hatte, so war Constantin's Unternehmen unter allen Umständen gescheitert. Wenn er den unsinnigen Versuch wagte, mit seinem kleinen Heere einen Festungsring von zwei und einer halben Meile zu umschließen, so mußten seine Truppen durch die Ausfälle weit überlegener Massen in kurzem vernichtet werden. Ging er thatlos zurück, so hätte ein so schmählicher Mißerfolg die Stimmung der Soldaten tief herabgedrückt; eine Verfolgung, und vollends eine solche, welche mit 100000 Mann siegesfreudiger Truppen ausgesührt wurde, hätte ihren Rück­zug bald in wilde Flucht verwandelt. Und gesetzt, Maxentius stellte sich wirklich zur Schlacht, was sehr unwahrscheinlich war; gesetzt, er wurde besiegt und ließ die ganze Hälfte seiner Soldaten aus dem Felde liegen, was noch viel weniger Wahrscheinlichkeit hatte: sobald er nur die zweite Hälfte nach Rom zurückzuführen vermochte, lag die Sache genau wie vorher. Noch immer wäre er in der Ueber- macht geblieben; sein geschlagenes Heer hätte in der Deckung sicherer Mauern bald seinen Muth wiedergewonnen, und eine Belagerung wäre nach wie vor un­möglich gewesen.

Aber ein Marsch auf Rom war nicht nur hoffnungslos, sondern auch über­flüssig. Wenn Constantin ruhig in Oberitalien stehen blieb, so mußte ihm Maxentius über kurz oder lang selbst entgegenrücken, und wurde er hier, fern von seinen uneinnehmbaren Befestigungen geschlagen, so konnte sein Heer durch die Verfolgung ganz ausgerieben werden, ehe es nach Rom zurückgelangte. Italien war schon seit Jahrhunderten nicht mehr im Stande, sich selbst und die Millionenstadt in seiner Mitte durch die eigene Kornproduction zu ernähren; seinen Unterhalt erhielt es aus Afrika. Wenn Constantin die Getreideschiffe ab­sing oder auch die Kornprovinz selbst besetzte, was er mit der großen Flotte, über welche er verfügte, leicht hätte thun können, so konnte er das Heer des Maxentius ohne Belagerung aushungern und dadurch zu einem offensiven Vor­stoß zwingen. Freilich mußte dies Monate dauern, da in Rom vor dem Kriege ungeheure Kornvorräthe aufgehäuft waren. Aber warum hätte er nicht warten könnend Zur Abwehr der Germanen genügte ja das Heer, welches er in Gallien zurückgelassen hatte, und mit dem Beherrscher Jllyrimms, Licinius, stand er damals im Bündniß, so daß ihm auch von dorther keine augenblickliche Gefahr drohte. Der einzige Kriegsplan, welchen die gesunde Vernunft billigen konnte, hieß also Abwarten; wenn Constantin, der sonst seine Mittel sehr klug zu Wählen wußte, trotzdem in tollkühner Ungeduld aus ein Ziel losstürmte, das nach menschlichem Ermessen unerreichbar war, so ließ er sich eben nicht von ge­sunder Vernunft leiten, sondern von visionärer Eingebung.

Jedes Kind kennt die Geschichte, wie Constantin im Traume geoffenbart wurde, daß er unter dem Zeichen Christi siegen werde. Für Träume lassen sich nicht die gesetzlichen zwei Zeugen beibringen, durch deren Mund allerwegs die Wahrheit kund wird; die historische Kritik steht ihnen gegenüber machtlos. Doch daß sie in einem Zeitalter hoher religiöser Erregung auch geschichtlich ihre Rolle gespielt haben, kann keinem Zweifel unterliegen. Träume und Weissagungen jagten später den Maxentius in sein Verderben: warum sollen sie nicht auch seinen Gegner zum Siege geführt haben? Constantin hatte am Hose Diocletian's