Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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Republik zählte. Reinhard hat als echter Sohn der Revolution diese Fragen mit Lebhaftigkeit aufgegriffen. Er sah darin einen Streit zwischen der bürgerlichen Freiheit und der Barbarei des Mittelalters und war bereit, auch hier der Sache der Freiheit zum Siege zu verhelfen. Seine amtliche Sendung, die so ganz den Wünschen der Städte selbst zu entsprechen schien, verhieß den besten Erfolg. Dennoch sollte die Thätigkeit des Gesandten in Kurzem auf ein unerwartetes Hinderniß stoßen.
II.
Am 28. September 1795 traf Reinhard, über Amsterdam, in Hamburg ein. Da noch Krieg mit dem Reiche war, unterließ er es, mit Rücksicht aus die Reichspflicht der Städte, sein Beglaubigungsschreiben zu übergeben und verlangte keine amtliche Anerkennung; gleichwohl trat er sofort in Verkehr mit dem Hamburger Senats. Das Erste war, daß er eine Beschwerde wegen Begünstigung der Emigrirten einreichte. Dann legte er sein Gewicht für die Anerkennung des Gesandten der batavischen Republik, AbbSma, ein. Am 6. October konnte er seiner Regierung die Neutralitätserklärung überschicken, zu der sich König Georg III. als Kurfürst von Hannover verstanden hatte. Um Beziehungen zu Bremen auzukuüpfen, sandte er zunächst seinen Secretär Kerner dahin. Bald ist er auch mit den besonderen Anliegen der Hamburger vertraut.
In einer Depesche vom 1. December lenkte er die Aufmerksamkeit seines Ministers auf die neueste Schrift des Professors I. G. Büsch, des Directors der Handelsakademie in Hamburg, worin eine Verständigung zwischen der französischen Republik und dem deutschen Reiche angeregt wurde, die nicht bloß dem nächsten Zwecke, der Neutralisirung des hanseatischen Seehandels galt, sondern die, in die Zukunft greifend, die allgemeine Herrschaft liberaler Grundsätze auf dem Gebiete des Seerechts — im Gegensatz zu dem englischen Verfahren — herbeiführen sollte.
Persönlich fand Reinhard in Hamburg die entgegenkommendste Aufnahme. Schon wenige Tage nach seiner Ankunft, am 2. October, schrieb Kerner seinem Busenfreund aus der Stuttgarter Zeit, Johann Gotthard Reinhold, nach Amsterdam: „Wir waren die ganze Woche, die wir hier sind, täglich eingeladen; ich habe bei diesen Einladungen schon viele sehr interessante Personen kennen lernen, z. B. den großen Klopstock, der mir äußerst gefällt, — Sieveking, einen der ersten hiesigen Handelsleute und bekanntesten Patrioten, Poel von Altona, den bekannten Reichardt^), — den portugiesischen Consul, den schwedischen Gesandten u. s. w. — alle Leute von entschiedenem Verdienst."
Seit der Karlsschule hatten sich die Jugendfreunde Kerner und Reinhold nicht wieder gesehen. Der Letztere war damals in holländischen Kriegsdiensten.
0 Vergl. A. Wohlwill, Reinhard als französischer Gesandter in Hamburg, Hansische Geschichtsblätter 1875. Wohlwill's archivalische Forschungen, in zahlreichen Aufsätzen, besonders in der Zeitschrift und in den Mittheilungen für Hamburgische Geschichte niedergelegt, sind im Folgenden vielfach benützt.
2 ) Der Kapellmeister I. F. Reichardt, der mit seiner Familie zwei Jahre lang in Neumühlen bei Altona gelebt hatte, kehrte eben in diesen Tagen wieder nach Giebichenstein zurück.