Issue 
(1891) 67
Page
104
Turn right 90°Turn left 90°
  
  
  
  
  
 
Download single image

104

Deutsche Rundschau.

kränklich und nicht frei von Wunderlichkeiten, lebte er von der großen Gesell­schaft zurückgezogen, doch war dem allgemein Verehrten der Umgang mit näheren Freunden noch immer Bedürsniß. Und dicht bei Hamburg wohnte Mathias Claudius, der Wandsbecker Bote, an dessen Arm der junge Reinhard einem seiner Gedichte zufolge gern so unter Gottes Sternen geschlendert war, und dessen Hausbrod ihm besser schmeckte als zuckersüße Konfitüren. In Eutin lebte Fritz Stolberg, dem Reinhard vor zwölf Jahren seine Uebersetzung des Tibullus gewidmet hatte und der jetzt gleichfalls Diplomat geworden war. Und der Zu­fall Wollte, daß er nun auch mit dem Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi Zusammentreffen sollte, in dessen Haus ihn das launige Schicksal vor einem Jahr­zehnt hatte rufen wollen. Denn als Jacobi im Jahre 1784 für seinen zweiten Sohn Georg einen Hofmeister suchte, wurde ihm durch den schwäbischen Theo- sophen Thomas Wizenmann unser Reinhard, der damals bei seinem Vater in Balingen Vicar war, zu dieser Stelle empfohlen*). Jacobi lebte, durch die französischen Siege aus Düsseldorf vertrieben, seit 1794 mit seiner Familie in Wandsbeck und siedelte dann 1797 nach Eutin über, wo außer Stolberg damals Voß, F. G. Schlosser und Nicolovius lebten. In Ploen schrieb der dänische Amtmann und Kammerherr August v. Hennings seinenGenius der Zeit." Dieser von mannigfachen literarischen Interessen bewegte Kreis, der mit den Genannten nicht erschöpft ist, war unter sich mehr oder weniger verbunden, wenngleich die französische Revolution eine tiefe Spaltung in denselben ge­bracht hatte.

Oft erzählt ist, wie Klopstock im Anfang dithyrambische Hymnen auf die Revolution anstimmte, um nachher mit Entrüstung und Ekel sich von ihr abzu­wenden. Nirgends aber war die Revolution als der Anbruch eines neuen Zeitalters mit hellerer und nachhaltigerer Freude begrüßt worden, als im Rei- marus'schen Hause, wo das Andenken an Lessing, den Freund des Fragmentisten und seiner Tochter Elise, noch frisch war, wo eine freisinnige Denkart in Religion und Politik zu den Ueberlieferungen der Familie gehörte. Man kennt aus zahl­reichen Schilderungen Solcher, die hier ein- und ausgehen durften, die Persönlich­keiten dieses Kreises, der für Reinhard so bedeutungsvoll werden sollte, die Viel­seitigkeit der Interessen, die hier gepflegt wurden, den weitherzigen Weltbürger­sinn, der sich hier Mt feinster Herzensbildung verband, die Großartigkeit und zugleich anmuthige Freiheit des geselligen Lebens, die Alle, die sich mit diesen seltenen Menschen berührten, nicht genug preisen konnten. Der Herr des Hauses, Johann Albert Heinrich Reimarus, der Sohn des Fragmentisten, war jetzt ein ehrwürdiger Greis, hochgeschätzt als Arzt, als Professor am Gymnasium und

i) Jacobi's Freund, Wizenmann, im Jahre 1759 geboren, war zwei Jahre älter als Reinhard. Er hatte sich an dm Professor an der Karlsschule, PH. W. Gottl. Hausleutner, seinen Promotionsgenossen, gewandt, und dieser nannte ihm Reinhard. Bemerkenswerth ist die Aeuße- rung, die Wizenmann bei diesem Anlaß über Reinhard machte, den er selbst vom Stift her kannte:Er ist ein Bursch nach meinem Sinne, den die Verhältnisse geschmeidig genug machen werden." Jacobi war dann von dem Entschluß, einen Hauslehrer zu berufen, wieder abgekommen. A. von der Goltz, Th. Wizenmann, Bd. II, S 27.