Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
105
als gemeinnütziger Schriftsteller, glücklich in seinen naturgeschichtlichen Sammlungen, heiter und gesprächig unter den Freunden, die sein Theetisch um ihn, die Schwester und die Gattin versammelte. Die letztere, Frau Sofie, „die Doctorin", wie sie genannt wurde, war eine Schwester jenes Kammerherrn Hennings in Ploen. Sie wird als eine lebhafte Frau von scharfem Verstand und sehr bestimmten Ansichten geschildert. Die letzteren wurzelten ganz in den Anschauungen der Aufklärungszeit; über Menschen und Dinge sprach sie sich sreimüthig und ohne Rückhalt aus. Mit begeisterter Theilnahme verschlang sie die neuesten Erscheinungen der Literatur; sie liebte die Dichtkunst und versuchte sich selbst gerne in Versen. Dabei war sie herzensgut, eine verständige Hausfrau, eine treffliche Wirthin, und mit solchen Eigenschaften „übte sie in der Familie eine anerkannte Herrschaft aus". Von den Töchtern des Hauses, die in einem Leben voll Anregung und Wechsel, inmitten eines beständigen Zustroms merkwürdiger Persönlichkeiten aus der politischen, der literarischen und der Geschäftswelt heranwuchsen, war die jüngere, Christine, noch unvermählt; die ältere, Johanna Margarethe, an den Handelsherrn Georg Heinrich Sieveking verheirathet, der damals vierundvierzig Jahr alt, als einer der reichsten und klügsten Männer Hamburgs, ja „ohne Widerrede für den bedeutendsten Mann seiner Vaterstadt galt". Weitgereist, ein glücklicher Handelsherr, dabei hochgebildet, ein entschiedener Anhänger der französischen Grundsätze, freigebig, der belebendste Wirth, dabei Wohl andere seine Ueberlegenheit fühlend lassend, hat er seiner Vaterstadt als Diplomat wichtige Dienste leisten dürfen. Von seiner Gattin aber reden die Zeitgenossen in den Ausdrücken der höchsten Verehrung. Steffens schildert mit begeisterten Worten die unbeschreibliche Güte dieser herrlichen Frau und die unwiderstehliche Gewalt, die sie aus ihn ausübte, und I. G. Rist nennt sie einen Engel von Sanftmuth, Selbstverleugnung, hülfreicher Thätigkeit, Bescheidenheit und unschuldiger, durch keine krausen Verhältnisse zu störender Einfalt. Sieveking war im Besitz eines reizend an der Elbe gelegenen Landgutes in Neumühlen, unmittelbar unterhalb Altona, und dieses Neumühlen war eben der Sitz jener weithin gepriesenen Geselligkeit. Goethe, der Süddeutsche, hat gelegentlich über das Reimarus-Sieveking'sche Theewesen sich spöttisch vernehmen lassen. Allen Theil- nehmern ist aber, wie vielfach bezeugt ist, diese gastliche Stätte, wo die Sonntagnachmittage bald eine erlesene, bald eine bunte, aus allen Völkern gemischte Gesellschaft zusammenführten, unvergeßlich geblieben. Hier traf man Klopstock und Jacobi, hier den ehrwürdigen, halberblindeten Vorstand der Handelsakademie I. G. Büsch, dessen Schwiegersohn Piter Poel, der den „Altonaer Merkur" herausgab, Voght, den Geschästsgenoffen Sieveking's, den Politiker Jonas Ludwig von Heß, der damals gleichfalls noch begeisterter Anhänger der Revolution war, den geistreichen Arzt und Dichter vr. I. A. Unger. Diese gehörten zu den Nächststehenden. Doch der größte Reiz der Gesellschaft zu Neumühlen bestand in dem unaufhörlichen Wechsel und in der beständigen Mischung mit fremden Gästen. Die glückliche Sicherheit, deren sich das neutrale Hamburg erfreute, zog damals in die Stadt und ihre Umgebung zahllose Fremde, die durch die Stürme der Zeit aus ihrer Heimath Vertrieben waren: Flüchtige aus den Rheinlanden, aus Holland, Schweden, Polen, Irland; doch am zahlreichsten waren die