Issue 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

daß er von Kant's früheren Schriften und Lehrmeinungen wenig weiß, aber hineinkommen wird er bald, das zeigt sein richtiges Urtheil über das Büchlein." H

Wie dann der Conflict wegen der Anerkennung des Gesandten sich zuspitzt, ist die Doctorin sehr ungehalten über die Bedenklichkeiten des Senats. Ihr eifriger Wunsch ist, daß Reinhard's Stellung eine dauernde und gesicherte werde, wie denn überhaupt zu bemerken ist, daß seit dessen Anwesenheit ihre Neigungen Wieder mehr der französischen Sache sich zukehren.Daß Reinhard," schreibt sie am 13. Februar an Knigge,hier erst recht festsäße, nicht mehr vom heiligen römischen Reiche chikanirt würde, wünschen wir herzlich. Er ist ein sehr wackerer Mann und zählt sich als Deutscher zu uns. Er hat, weil das Gouvernement es Wünschte, sein Creditiv übergeben müssen; der Rath wollte ihn gerne annehmen, sieht aber aus wie ein Schulknabe, der die Ruthe fürchtet, und hat Vorstellungen nach Paris abgeschickt. Werden die nicht angehört und besteht man aus An­erkennung des Ministers, so weiß ich noch nicht, wie ein Ausweg gefunden werden kann. Die Kaufmannschaft hält sich für verloren, wenn die Handlung mit Frank­reich unterbrochen wird."

Die Doctorin verschwieg ihrem Freunde in Bremen, warum ihr und der ganzen Familie das Bleiben Reinhard's so sehr am Herzen lag. Der Gesandte der Republik, der zugleich ein gefühlvoller deutscher Dichter war, damals vier­unddreißig Jahre alt, hatte sich in Kurzem zu der Tochter des Hauses, Christine, hingezogen gefühlt, warb um ihre Hand und schon bald nach Neujahr scheint er das Jawort der Eltern erhalten zu haben. Auch das Jawort Stinchen's, aber dieses mit einigem Widerstreben. Ihr Herz hatte sie nämlich halb einem Andern geschenkt, und es kostete sie noch Mühe, sich von dieser älteren Verbindung gänzlich zu lösen. Die Art, wie sie den kleinen Herzensroman durchgeführt hat, macht ihr übrigens alle Ehre und verdient mit ein paar Worten erzählt zu werden. Es war zu Ende des Jahres 1793, als der junge deutsche Arzt Justus Erich Bollmann in Hamburg erschien. Er hatte nach dem 10. August 1792 den Kriegsminister Narbonne im Hause seiner Freundin Staöl gerettet, dann plante er mit Hülfe einflußreicher Personen in England die Befreiung des in Olmütz von den Oesterreichern gefangen gehaltenen Lafayette; auf der Reise zu diesem Zwecke hielt er sich einige Wochen in Hamburg aus und wurde durch den Capell- meister Reichardt, den er von Straßburg her kannte, in den Reimarus-Sieve- king'schen Kreis eingeführt. Der vierundzwanzigjährige Jüngling, unternehmend, von lebhaftem Temperament, liebenswürdig, leidenschaftlich, gewohnt, daß ihm die Herzen der Frauen zuflogen, dazu vom Ruhm einer glänzenden That um­strahlt, hatte Eindruck auf Christine gemacht. Die Eltern Reimarus hatten freilich kein rechtes Vertrauen zu dem unruhigen Abenteurer, der er ihnen schien.

i) Sofie Reimarus an den Philosophen K. L. Reinhold 3. December 1795, am 26. Januar 1795 und an den Freiherrn von Knigge am 13. Februar. Nach dem von I. F. Reichardt herausgegebenen JournalDeutschland", Bd. I, S. 263 und 282 wurde Kant's Schristgleich nach ihrer Erscheinung ins Französische übersetzt und in Frankreich mit Bewunderung aus­genommen." DerMoniteur" hatte schon am 6. Januar einen Auszug gebracht. Aus Reinhard's Feder?