Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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hier ganz mit dem Interesse der Hansestädte übereinstimmte. Eindringlich begründete er dies in einer Depesche vom 14. Messidor (2. Juli):
„Es ist eine natürliche Folge der Grundsätze des Handels," schrieb er an den Minister Delacroix, „daß Alles, was dessen Freiheit und Unabhängigkeit sichern kann, für alle handeltreibenden Völker vortheilhaft ist. Ich kenne nur eine einzige Ausnahme von dieser Regel, nämlich England, das sein besonderes System der Herrschaft und des Monopols hat, entgegen dem aller Völker und besonders dem unserigen. Man kann also sagen, daß die französische Republik und das Deutsche Reich beinahe dasselbe Interesse wie die hanseatischen Städte daran haben, daß ihnen die Freiheit des Handels und eine völlige Neutralität in den künftigen Kriegen gesichert werden. Nur die große Unkenntniß aller Handelsgrundsätze am Wiener Hof und in Regensburg hat die gehässigen Einschränkungen veranlassen können, die den Handel der hanseatischen Städte mit der Republik während des gegenwärtigen Krieges gehemmt haben. Wenn die Staaten des Reiches ihre wahren Interessen kennten, würden sie selbst darauf bestehen, für die Hansestädte, welche die hauptsächlichsten Depots für den Handel Deutschlands mit Frankreich sind, eine unbeschränkte Freiheit zu erlangen. Das künftige Handelssystem der Republik kann kein anderes sein als: sich zur allgemeinen Beschützerin der Handelsfreiheit zu machen, diese den Schrecken des Krieges, den finanziellen Hindernissen und dem Despotismus der Machthaber zu entziehen, die Freiheit der Meere und der Ströme zu proclamiren: mit diesen Grundsätzen wird sie, nach dem Siege über England, dieses verhindern, sich wieder zu erheben." Und noch ein Moment, das für die völlige Unabhängigkeit der Hansestädte von Wichtigkeit ist, fügt er hinzu: „Je wünschenswerther mir für die Republik eine Aenderung der deutschen Verfassung scheint, um so wichtiger ist es, den gegenwärtigen Zeitpunkt zu benützen, um diese geistlichen Herrschaften zu beseitigen, die den Fortschritten der Vernunft und der Freiheit entgegen sind, und um so mehr ist sie durch ihre Grundsätze, ihre Gerechtigkeit, ihre Würde berufen, die Unabhängigkeit der kleinen Freistaaten aufrecht zu erhalten, die, nachdem sie sich in Jahrhunderten der Unwissenheit gegen die Herrschaft der Priester und Adligen gewehrt, sich in der neuen Epoche unter unseren Auspicien und nach unserem Beispiel zu einem edleren Gefühl ihres Glückes, ihrer Würde und selbst ihrer Kräfte erheben werden."
Es ist eine Art Programm, das Reinhard in dieser Depesche entwickelte: Befreiung von den Ueberresten des Feudalismus, von denen die Entwicklung der Städte gehemmt ist, und Sicherung ihres freien Handels zur See, zunächst als Gegenzug gegen die selbstsüchtige Handelspolitik Englands, aber zugleich im Hinblick auf das Ideal eines allgemeinen Freihandelssystems. Talleyrand hat in der Gedächtnißrede, die er nach Reinhard's Tode dem Schüler und Freunde in der Akademie hielt, dessen tiefes Eindringen in alle Fragen des Völkerrechts und des Seerechts ganz besonders hervorgehoben.
„Dieses Studium hatte ihn zu dem Glauben geführt, daß eine Zeit kommen werde, da mittelst geschickt vorbereiteter Kombinationen ein allgemeines Handels- und Schiffahrtssystem einzu- sühren sei, in welchem die Interessen aller Nationen geachtet, und dessen Grundlagen so befestigt wären, daß der Krieg es nicht umstoßen, sondern bloß einen Theil der Wirkungen zeitweilig ausheben könnte."
VI.
Im September, nachdem die guten Beziehungen zwischen Hamburg und der französischen Republik wieder hergestellt waren, siedelte Reinhard von Bremen nach Altona über. Dort sollte er bis zu seiner förmlichen Anerkennung bleiben. Er war aber nicht gehindert, wöchentlich einmal zur Besorgung seiner Geschäfte mit dem Senat nach Hamburg zu kommen. Und nun stand auch seiner Verbindung mit Christine Reimarus nichts mehr im Wege. Die Vermählung fand am 12. October in Neumühlen auf dem Sieveking'schen Gute statt. An festlichen Tagen stellte sich bei ihm immer noch gerne die deutsche Muse ein. Er dichtete auf diesen Tag
Deutschs Rundschau. XVII, 7. 8