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Deutsche Rundschau.
eine Elegie, in welcher er einen bewegten Rückblick auf fein Schicksal wirft, Hoffnungen an die Erinnerungen knüpft und sich glücklich preist, ein dreifaches Vaterland gewonnen zu haben: die Heimath, das Adoptivvaterland und die Familie feiner Frau. Das Gedicht, das wegen der Selbstbekenntnisse und wegen der Rückschau auf das Erlebte von biographischem Werth ist, und das auch den Höhepunkt von Reiuhard's dichterischem Vermögen bezeichnet, lautet:
Am Tage meiner Trauung.
Den 12. October 1796.
Angefächelt vom Wahn elegischer schöner Gefühle,
Sing ich dies Lied — mir felbst oder der sinnenden Braut
Oder den liebenden Eltern, der Vorzeit voll und der Zukunft,
Oder den Freunden, die froh denken des bräutlichen Fests?
Wie Neumühlens geselliger Saal sie zur Freude vereinet,
So vereinet zum Ernst sie der geweihte Gesang.
Auch die Fernen ruf' ich herbei. Dich glücklicher Vater,
Kinderreicher! und den keine der Hoffnungen trog;
Mutter, Dich auch, die über den Sternen des Sohnes sich freuend Zum geheimen Sinn heute durch Ahndungen spricht.
Wie zu einem Kranze verflochten, die Nahen, die Fernen,
Eines melodischen Lieds liebliche Töne ihr seid,
Gegenwärtig dem hehren Gefühl, wo in dieser Berührung Sich die sichtbare Welt an die unsichtbare schließt.
Schöner grünet die Myrthe der Braut, von der Thräne bethauet,
Welche Wehmuth entlockt, Wehmuth, der Freude verwandt;
Und der Mann, an Erfahrungen reich, an Täuschungen ärmer,
Deutet küssend die Thrän', und ist der Deutung gewiß.
Dieser Tag, der die Gattin mir gibt, ist die schicksalvolle Brücke, die künftiges Glück an die Vergangenheit knüpft.
Magisch verschlingt sich in ihm, allein auflösbar der Tugend Und der Liebe, das Band meines geheimen Geschicks.
Freunde! nicht im Gesetz, das über die Sonnen gebietet
Und den unendlichen Raum für die Erscheinungen theilt,
In der Bahn, die ich selber durchmaß, in des Herzens Gefühle,
In des Bewußtseins Sinn fand ich: es waltet ein Gott!
Jene Bahn, ich zeichne sie Euch, dädalisch, verschlungen,
Stets sich entwickelnd und stets näher mich führend zum Ziel
Sinnend wandelt' ich oft am bescheidenen Flusse des Städtchens,
Dessen ruhiges Glück lange mein Wunsch überflog;
Lüstern strebte mein Geist entgegen der dämmernden Zukunft,
Und in unstütem Bild malte sie sich, wie sie ward.
Zürnend fühlt' er in eigener Fessel die Fessel der Völker,
Schon der Schule Despot hat ihn zur Freiheit geweiht.
Damals sah ich die Insel der selbst sich gebietenden Briten Im prophetischen Traum und das italische Land.
Als ich die Heimath verließ, wie neu war Alles! ich trat in Heloisens Gefild an den Kenianischen See,
Wo er malerisch an Rousseauischen Felsen sich anschmiegt Und der freundlichen Saat wirthliche Hügel benetzt.
Dies ist der Julien Land; doch die Julien sind nicht im Lande,
Eine Täuschung verschwand; ewig nicht kommt sie zurück!
Damals weint' ich den süßen, verlassenen Fluren die letzte
Thräne. Dem Sohn des Grams blieb die unendliche Welt.