Heft 
(1891) 67
Seite
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Aus Karl Friedrich Reinhard'» Leben.

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Wo die Garonne zum Ocean eilt, da umarmt' ich ein neues Volk, und mit fremdem Gefühl, leichtem gefälligem Schein.

Schon begannen des furchtbaren Kampfs Elemente zu glühen,

Freiheit lallte das Volk, Priester und Adel! Ich fang

Wie Casfandra, von Keinem geglaubt, mir selber nicht glaubend,

Ein weissagendes Lied, eh' die Bastille noch fiel.

O, der glücklichen Zeit, da der werdenden Schöpfung sich freute,

Wem für die Menschheit ein Herz schlug und für eigenes Recht.

Arimanes trat in die Schöpfung! Ich fühlt' ihn, ich sah ihn! Gräßlich grinste sein Mund, als er die Blüthen zertrat.

Damals harrt' ich des Todes mit kaltem starrendem Gleichsinn,

Wie der gewohnten Nacht nach dem verschwundenen Tag.

Damals ward sie gelöst, die zwote Täuschung! Und dennoch Wie die Gottheit, wie mich selber, so halt' ich sie fest!

Edle fielen! Es blieben mir Edle; wo Keiner vertraute,

Traut' ich Menschen mich an, schwach wie ich selber und gut;

Aus dem ungeheuren Verlust den Glauben an Menschheit Hab' ich gerettet, und schon hat er mir herrlich gelohnt.

Fragt, o Freunde, den Schweigenden nicht, wenn Ihr unter dem Eise, Unter der Asche nicht stets glimmend den Funken erblickt.

Saht Ihr nicht oft ihn schon glühn in Eurem vertraulichen Kreise? Ach! und lodern nicht hell heute die Flammen empor?

Glücklich Lin ich vor Andern! Ein dreifach Vaterland ward mir, Jedes gab sein Geschenk, um zu vollenden den Mann;

Jenes, welches den inneren Sinn des Knaben, des Jünglings Nährt' und auf den Jnstinct impfte des Guten Gefühl,

Daß ich mich nimmer mir selbst, mich nimmer den Andern verleugne, Daß ich der Wahrheit horch' und der gebietenden Pflicht;

Jenes, welches das hohe Gefühl zu Thaten erweckte Und die Rechte mir gab, die ich mit Jubel ergriff,

Daß ich, frei von den Fesseln des Wahns und der schändenden Willkür Keinem Herrscher gehorch' als den Gesetzen und mir;

Und das dritte wo nun vom Himmel weiblicher Treue Auf dies flüchtende Herz Ruhe nach Stürmen sich senkt;

Wo ich, wiedergegeben mir selbst, mich in der Geliebten Find' und auf ewig versenkt sich die Geliebte in mir!

Komm', Christine, wir sind zur Tugend geboren, zur Tugend Und zur Liebe! Wo ist diese, wo jene nicht sei?

Komm', vom Segen der Eltern geleitet, vom Jubel der Freunde, Thränen im lachenden Blick, drücke Dein Herz an mein Herz!

Reinhard selbst empfand in der Zeit, von der wir reden, ganz das Glück dieser sreundlichen Wendung seines Lebens, das nach stürmevollem Wechsel hier gleichsam einen festen Ankergrund fand. Vielleicht war dieser erste Hamburger Aufenthalt überhaupt die glücklichste Zeit in Reinhard's Leben. Er befand sich in einer angesehenen amtlichen Stellung, als ein Theil der Macht, die anfing Europa Gesetze zu geben; ungebrochen war noch sein Glaube, daß er in der Hingabe an die französische Republik der großen Sache diene, der Sache der Freiheit und Menschlichkeit, die, nachdem sie aus den Greueln der Schreckenszeit gerettet und gereinigt emporgestiegen, jetzt durch die Erfolge der fränkischen Heere ihren Siegeszug durch Europa anzutreten schien. Er lebte im besten Einver-