Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

nehmen mit den Städten, bei denen er beglaubigt war, er vertrat zugleich deren Anliegen, indem er den Interessen seiner Regierung diente. Und nun fand er, der schweigsame, zurückhaltende Schwabe, sich in einem Familienkreise aus­genommen, der einzig in seiner Art, weithin geschätzt, ja berühmt war, und dem anzugehören als eine Ehre und ein Glück erschien. Neidlos theilte sein Glück der Freund Kerner, der, selbst an einer Herzenswunde krank, unstät umhergejagt, in der Nähe des stillbeglückten Freundes eine Besänftigung der eigenen Leiden­schaften fand.Es ist jetzt ein Jahr," schrieb er in einem Briese aus dieser Zeit,daß wir in Hamburg sind. Reinhard hat sich verheirathet seine Gattin, eine Tochter des berühmten Professor Reimarus, vereinigt mit einem trefflichen Herzen einen hohen Grad von Verstand und Kenntnissen. Wir leben auf einem herrlichen Landhaus hart an Altona an dem Ufer der Elbe in einer Gesellschaft von Menschen, die auserlesener nicht sein könnte, umringt von Allem, was zur Freude einladen und Lebensgenuß darbieten kann. Ich lebe im Genuß und in der Freude der Anderen ihr Glück ist das meinige, und so lause ich doch nicht Gefahr, der Gesellschaft durch meine finstere Stimmung beschwerlich zu fallen, die, wenn sie sich aushellt, nur der ungestümen, nicht der ruhigeren und allein beglückenden Freude weicht. . . . Das Band der Freund­schaft, das mich und Reinhard aneinander fesselt, ist seit seiner Ehe noch stärker geworden wenn's je noch stärker werden konnte." Der Ausbruch des Krieges hatte in Kerner den heftigen Wunsch erregt, die Feder mit den Waffen zu ver­tauschen. Reinhard ließ ihn aber nicht ziehen, und es half Kerner auch nichts, daß er Siehss,unfern gemeinschaftlichen Freund", zum Schiedsrichter dieses freundschaftlichen Zwistes machte.

Eine Schilderung des Reimarus'schen Kreises aus jener Zeit haben wir auch von dem empfindsamen resormirten Prediger Johann Ludwig Ewald, ehemals zu Offenbach, später in Detmold und in Bremen, der im Frühling 1797 vierzehn Tage sich in Hamburg aufhielt, wo er die besten Gesellschaftskreise kennen lernte. Man gewinnt aus seinen redseligen Schilderungen*) zugleich einen Eindruck von dem behaglichen und sorglosen Leben, dem man sich damals im Norden, gedeckt durch den Baseler Frieden, überließ, und das ihm um so mehr auffiel, als er aus den vom Kriege wiederholt mitgenommenen oberen Rheingegenden kam.Jeder genoß ruhig, was er besaß, und suchte sich zu erwerben, was er bedurfte, und erwarb sich's leicht. Man dachte nicht an Mittel, um sein Eigenthum zu retten, sein Leben oder die Sitten der Seinigen zu sichern, bevorstehenden Gefahren auszu­weichen. Man dachte daran, das Leben zu genießen, sich mehr Eigenthum zu erwerben, die Sitten der Seinigen zu veredeln und sich selbst. Es war nicht die Rede von Verheerungen und Zerstörungen, von Todten und Blessirten und Gefangenen, sondern von abgegangenen und angekommenen Schiffen, vom Ertrage der Ernte, von neuen Maschinen, Menschenhände zu ersetzen, von Kunstwerken für Genuß, für Verfeinerung des Gefühls." Ewald brachte einen Abend im Reimarus'schen Hause zu, und er weiß nicht genug den behaglichen Ton zu rühmen, der hier herrschte, der Jeden seiner eigenthümlichen Laune überließ,

*) I. L. Ewald, Fantasien auf einer Reife durch Gegenden des Friedens. 1799.