Deutsche Rundschau.
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zügen in stiller Häuslichkeit erzogen, eine würdige Stelle in dem Kreise ihrer Bekannten eingenommen und dann Wohl in einer so guten Schule, wie der ihrer Mutter, die Fähigkeiten erlangt haben, welche zur Führung einer bürgerlichen Wirtschaft unentbehrlich sind. Allein der Natur zum Trotz sollte eine Weltdame aus ihr werden; in einem noch kindlichen Alter, aber schon mit ältlichen Zügen, zog man sie in alle Gesellschaften, verschwendete Künste der Mode an ihrem Anzuge, und da sie in geselligen Talenten mit Anderen nicht wetteifern konnte, so wurde ihr Gedächtniß in Anspruch genommen und sie häufig aufgefordert, Verse oder merkwürdige Stellen aus prosaischen Schriftstellern herzusagen, oder den Inhalt eines interessanten Romans im Zusammenhang vorzutragen; mußte man dann auch ihr Auffassungsvermögen bewundern — es fehlten in dem Vortrage immer Seele und Wärme. Die Mutter hob sie dann zu sehr hervor und suchte sie in jede Unterhaltung hineinzuziehen. Ihr Wesen nahm damit etwas Altkluges an, das, keinen Ersatz bietend für die ihr fehlenden geselligen Vorzüge der Gefährtinnen, einer falschen Schätzung eigenen Verdienstes und einer gewissen Verbitterung Raum gab — Momente, die einer glücklichen und harmonischen Lebensentwicklung störend in den Weg treten mußten." Und nicht günstiger urtheilte über sie der eigene Neffe Karl Sieveking. Sie kam ihm immer vor „wie der abgestreiste Verstand ihres Hauses, aus dem Alles gewichen ist, Was ihn dort trägt und hält." Ja, er nennt sie einmal die hohle Caricatur des Familiengeistes, dem er selber angehörte *). Wie dem auch sei — klug und gebildet, freundlich und theilnehmend, so erschien sie I. G. Rist, dem dänischen Diplomaten, der später gleichfalls ein Angehöriger dieses Kreises war, eine sehr ausgezeichnete Frau nennt sie Sulpiz Boifferse, der der Hausgenosse von Reinhards am Rhein wurde, und Fritz Jacobi schrieb einmal an Christine: „Wie ich Sie hochachte, liebe, bewundere, sagen keine Worte." Ihre seltene Bildung rühmen alle Zeitgenossen, auch Goethe, der im Jahre 1807 Reinhards in Karlsbad kennen lernte, und dem Christine damals dieselben Lieder von Unger vortragen durste, die Ewald von ihr in Neumühlen hörte. Man würde die Eigenschaften ihres Verstandes und ihres Herzens besser würdigen können, wenn die in der Familie hochgepriesenen Briese, die sie aus Florenz und anderen Orten ihres späteren Aufenthalts an ihre Mutter schrieb, veröffentlicht wären. Nach ihrem Tode (März 1815) hat ihr Reinhard's Jugendfreund, der schwäbische Dichter K. PH. Conz, ein poetisches Denkmal gestiftet, aus dem — um die Reihe der Zeugnisse mit einem günstigen zu schließen — wenigstens eine Strophe mitgetheilt sein möge:
Ich darf das Wort, ich darf es kecklich wagen:
Nie war ein Weib solch' eines Manns so Werth!
Wohl mir, daß ich in jenen süßen Tagen,
Als Wiedersehen des Freunds mir ward bescheert,
Als ich mein Herz an seinem fühlte schlagen,
— O süßes Glück, zu lange schon entbehrt! —
Wohl mir, daß ich der Sitten hohe Milde Bewundern dürft' in diesem Frauenbilde!
H G. Poel, Aus vergangener Zeit, Bd. II, 1, S. 15 und 165.