Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

die Richtigkeit der Urteilskraft nicht geschärft. Die Leidenschaften oder die wildesten Begierden toben lauter als je." Und bei diesen Sätzen bleibt er auch, als Reinhard zu beweisen sucht, daß durch die Ausbildung des Verstandes der moralischen in die Hände gearbeitet werde, und daß das gegenwärtige Zeitalter in dieser Beziehung allen anderen voraus sei, weil keines eine solche Menge richtiger Begriffe von politischer und religiöser Freiheit in Umlauf gesetzt habe.

Ein solcher Umfang, ein so rascher Umlauf von richtigen, auf die Aufklärung der meisten Nationen anwendbaren Begriffen hat zu keiner Zeit existirt wie jetzt.

In der moralischen Welt noch mehr als in der physischen ist der Widerstand der Jmpulston proportionirt; bei solchen Stößen mußte das Falsche am Wahren, das Schlimme am Guten, und oft auch umgekehrt das Gute und Wahre am Falschen und Schlimmen zu Trümmern gehen. Auf dem Boden, wo Wahrheit angebaut werden soll, stehen Leidenschaften und Vorurtheile. Dies erklärt Alles."

Hennings schickt Reinhard eine von ihm geschriebene Schrift über Rousseau; er preist den Genfer Philosophen als den, der uns vom Irrweg zurückführt. Nein, entgegnet Reinhard,statt uns vorwärts zu führen, führt er uns zurück, unein- gedenk, daß wir dann die nämlichen Irrwege wieder gehen würden. Wissen­schaften und Künste sind oft schädlich gewesen, aber sind doch dennoch Werkzeuge, und die einzigen, zur Veredlung der Menschheit. Ohne sie konnte Rousseau den Weg weder finden noch betreten, den er seinen Emil und seine Julie führt.

Durch sie sind wir dahin gekommen, ihren Mißbrauch und ihre Schädlichkeit einzusehen und ihren Gebrauch aufs Nützliche einzuschränkeu. Mögen Sie, mein Freund, immerhin sagen, jeder Mensch müsse sich selbst ausbilden; jeder Mensch *

bildet sich nur nach dem herrschenden Geiste seines Zeitalters, der Menschen, der Verhältnisse, der Gesetze, die ihn umgeben. Die Ausbildung der Einzelnen hängt folglich immer von der Ausbildung der Menschheit ab."

Man sieht leicht, wohin diese theoretischen Erörterungen zuletzt zielen. Die Revolution hat nicht gehalten, was sie versprach. Ihr Gang hat den Einen zum bekümmerten Zweifler gemacht, droht ihm seine Ideale zu entreißen. Der Andere, obwohl betreten und verdüstert durch den Lauf der Dinge, klammert sich dennoch an die Ideale fest und hofft von der Zukunft, was die Gegenwart ver­sagt. Hennings ist im Begriff, beim Blick aus das gegenwärtige Frankreich allen Glauben an Menschheit, Freiheit und Aufklärung zu verlieren.Im Jahre 1792 fürchtete ich einen neuen dreißigjährigen Krieg. Der Professor Büsch

meinte damals, ein dreißigjähriger Krieg sei nicht mehr möglich, unsere Art Krieg zu führen lasse es nicht zu. Er ahndete nicht einen völligen Umsturz dieser Art, und wer konnte voraussehen, daß die Franzosen Krieg führen würden wie Attila oder die alten Cimbern und Teutonen! Aber wird man jetzt meine *

Furcht noch unbegründet finden, oder wer kann das Ende der Unruhen absehen!"

Reinhard ist schon durch seine Stellung genöthigt, dieser pessimistischen Ansicht zu widersprechen. Und in gutem Glauben vertheidigt er die Sache der Republik.

Doch gerade in diesem Augenblick ist die Vertheidigung schwerer denn je. Das Directorium hat sich in und außer dem Lande verhaßt gemacht, der Zweifel am Bestände der Republik greift um sich, die Royalisten erheben keck ihr Haupt.

Die Nation," schreibt Reinhard selbst am 14. August,wird mit Macht in L