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Deutsche Rundschau.
thätigkeit ihren Zweck zu erreichen suchen. Der Nation selbst kann jenes heilige Grundgesetz ihrer Verfassung nicht mehr die gleiche Verehrung abfordern, weil es nicht unverletzt geblieben ist. Allein da unter solchen Uebeln zu wählen war, so mußte die Wahl dahin fallen, wo das große Rettungsmittel, die Zeit, gewonnen wurde."
Reinhard hofft noch, daß die Republik, wenn sie nur am Leben bleibe, auch im Stande sein werde, zur Tugend zurückzukehren. Aber wie wenig zuversichtlich ist diese Hoffnung geworden!
VIII.
Dieser Brief Reinhard's ist am 12. October geschrieben. Es war der Jahrestag seiner Vermählung. Alle, die vor einem Jahr in Neumühlen den Tag feierten, waren heute zur Doctorin geladen, und Reinhard schrieb dem Oheim: „Ich fühle mich doppelt glücklich in der Erinnerung und in der Zukunft; die Probe eines Jahres spricht für unsere gegenseitigen Gesinnungen gut. Selbst wenn das Schicksal uns aus dem liebenswürdigen Kreise herausrisse, in dem bis jetzt meine Gattin ihre bessere Welt fand, so würde die Angewöhnung an mich, unterstützt von Pflicht und Liebe, ihr die Trennung erleichtern." Der Gesandte mochte bereits Grund zu der Vermuthung haben, daß der Zeitpunkt der Trennung näher sei, als die Familie seiner Frau glauben wollte.
In diesen Tagen war ganz Hamburg noch voll von dem frohen Ereigniß der Ankunft Lasayette's. Nach dem Präliminarfrieden von Leoben war endlich der berühmte Gefangene mit seinen beiden Haftgenossen, Bureau de Puzy und Latour-Mauburg, aus Olmütz sreigelassen worden. Zwei Damen aus der Familie des Generals hatten sich bereits bei Ploen niedergelassen, und nun sah man mit freudiger Spannung der Ankunft des „Helden zweier Welten" entgegen. A. Hennings, dem es Bedürsniß war, aller Bedrückten und Noth- leidenden sich anzunehmen, hatte in seinem „Genius der Zeit" immer wieder den Anwalt und Lobredner des Gefangenen gemacht, seine Kerkerleiden geschildert, das Mitleid für ihn angefacht, seine Freilassung gefordert. Als nun der General am 4. October in Hamburg an Land stieg, empfingen ihn mit Jubel Freunde und Verehrer aus allen Nationalitäten. Varnhagen erinnerte sich aus seiner Knabenzeit, daß die französischen Republikaner unter dem Vorsitze Reinhard's ein Fest in Harvstehude feierten, bei welchem ein Sänger vom französischen Theater in Hamburg patriotische Lieder vortrug, und er meinte, dieses Fest sei in Verbindung mit Lasayette's Freilassung gewesen. Doch war Lafayette selbst nicht anwesend H. Sieveking hatte dem General Neumühlen zur Wohnung an- geboten, dieser war aber gleich mit seiner Familie nach Ploen gezogen. Hier machte Hennings bald die persönliche Bekanntschaft des Generals, und in den Briefen zwischen Hennings und Reinhard ist öfters von dem Helden des Tages die Rede. Am 12. October schrieb Reinhard:
„Sie haben nun Lafayette um sich. Ich habe diesen interessanten Mann einige Male gesehen, als Mensch den Menschen; denn als Minister war meine Lage gegen ihn, nach mehreren Rück-
Z Varnhagen, Denkwürdigkeiten, Bd. I, S. 226. Es liegt bei Varnhagen wohl eine Verwechslung mit der Feier des 1. Vendämiaire (22. September) vor, der als Geburtstag der Republik von den Franzosen officiell gefeiert wurde.