Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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sichten, delicat. Ich war durchaus ohne Instructionen; und wenn die französische Regierung es ihrer würdig fand, durch ihre Dazwischenkunft einem Verbrechen des ungeheuersten Despotismus ein Ende zu machen, so folgte daraus nicht, daß sie Denen, die ihr ihre Befreiung danken, durch diese Handlung zugleich ihre Bürgerrechte wiedergebe. Die neuesten Begebenheiten selber hatten Veranlassung gegeben, den Vertheidiger einer beschworenen Constitution mit Verrüthern des Vaterlandes zusammenzustellen, die sich mit ihm in Rücksicht auf die Absichten verglichen, und nur in Rücksicht auf den Erfolg nicht mit ihm verglichen sein wollten. Ich weiß nicht, ob man mein Betragen billigen werde oder nicht; aber ich habe nach meinem Gefühl gehandelt. Lafayette hat besonders den Damen weniger interessant geschienen als sein Unglücksgefährte Puzy, dessen melancholische Züge das Gepräge langer Leiden tragen. Die Einbildungskraft hatte sich diese Opfer des Despotismus natürlicherweise unter der Gestalt des Kummers und des Unglücks gedacht. Lafayettens Selbstzufriedenheit, die aus Mienen und Reden hervorleuchtete, contrastirte mit der Erwartung. Daß Eitelkeit im Charakter dieses gewiß sehr edlen Mannes lag, ist bekannt; und es ist eine bekannte Erfahrung, daß Menschen, in langer Gefangenschaft auf sich selbst eingeschränkt, auf ihre Person und auf ihre Schicksale eine um so größere Wichtigkeit legen, je mehr sie sich von allen äußeren Gegenständen verlassen fanden."
Weit enthusiastischer äußerte sich der warmherzige Hennings. Er hatte sich schnell mit Lafayette befreundet, dessen Liebenswürdigkeit ihn ganz bezauberte. „Sein reizbares Herz hat mich ihm gleich näher gebracht .... Er ist der liebendste, aufrichtigste, biederste Charakter, der sich denken läßt. Er spricht mit vieler Klarheit, Bestimmtheit und Anmuth, ist nie verlegen oder zurückhaltend und antwortet ohne Umschweif auf jede Frage. Ein sicherer Beweis, daß er nie zu Jntriguen Herabstieg oder Verschwörungen machte." Ein Urtheil, das Reinhard nicht ganz unterschreiben konnte. Am 15. Frimaire (5. December) schrieb er wieder dem Oheim:
„Lafayette hat mehr als die Meisten seiner Nation richtiges und feines moralisches Gefühl, mehr Muth als Charakter, mehr geraden Sinn als Genie, und mit all' diesem bezahlt er seinem Mutterlande den Nationaltribut der Eitelkeit. So in der ungeheuren Epoche der Revolution, unter dem intriguenvollsten Volk, auf den ersten Posten gestellt, mußten die Erscheinungen entstehen, die ihn bald zu groß für feinen Charakter, bald zu klein für seinen Posten gezeigt haben. Mehr als Andere fähig und entschlossen, unabhängig zu handeln, hat er diese Unabhängigkeit nicht immer behaupten können; selbst den Jntriguen hat er nicht immer widerstanden und dadurch den Vorwurf von Jnconsistenz auf sich geladen. Sein System, eine Constitution zu erhalten, die er nicht liebte, und einen König zu vertheidigen, den er nicht achtete, war der französischen Jmmoralität zu fremd, um zum Zwecke zu führen. Nun sind jene Zeiten, wo er aufgetreten war, zu alt, die Köpfe zu sehr von der Gegenwart eingenommen, die Herzen^zu erschöpft, um das Interesse wieder zu beleben. Selbst seine Leiden lassen gleichgültig in einem Lande, wo Jeder so viel Leiden gesehen und selbst erfahren hat. Zum Ersatz bleibt ihm der Beifall der Besseren und Vernünftigeren und die Ueberzeugung, daß erst dann eine schöne Epoche fürs Vaterland beginnen könne, wenn Lafayette und die ihm gleichen aufhören, verleumdet und verkannt Zu sein."
(Ein zweiter Artikel folgt.)