Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

wie die gegenwärtige Deputirtenkammer bereits gerüstet war, eine Interpellation über die Entfernung des Kranzes am Denkmale Henri Regnaullls impatriotischen" Sinne zu erledigen, als ob jene thörichte Maßregel von Berlin aus angeordnet worden wäre.

Wenn in letzter Zeit mehrere erfreuliche Symptome constatirt wurden, aus denen geschloffen wurde, daß sich auf dem Gebiete der Kunst und Wissenschaft ein innigerer Verkehr zwischen den beiden Nachbarnationen anbahnte, so genügte das rücksichtslose Vorgehen der französischen Chauvinisten, alle diese Spuren eines friedlicheren Zusammen­wirkens im Kulturleben verwehen zu lassen. Hatte die elsaß-lothringische Regierung in voller Uebereinstimmung mit den Intentionen der Reichsregierung die strengen Paßvorschristen an der deutsch-französischen Grenze wesentlich gemildert, so wurde es nunmehr für ge­boten erachtet, die Zügel wieder straffer an^uziehen, um im Hinblick aus die von den französischen Chauvinisten an den Tag gelegten Gesinnungen zu verhüten, daß diese in die Reichslande importirt werden. So wurden denn die strengeren Maßregeln wieder ausgenommen, wobei allerdings die Möglichkeit nicht ausgeschlossen blieb, daß die wirklich Schuldigen straflos ausgingen, während die Bevölkerung von Elsaß-Lothringen in Mitleidenschaft gezogen wurde. Dieser Auffassung gab dann auch der Landes­ausschuß von Elsaß-Lothringen in seiner an den Kaiser Wilhelm gerichteten Adresse Ausdruck, in welcher allerdings mit größerem Nachdrucke hätte betont werden können, daß die Bevölkerung der Reichslande nickt bloß die demagogischen Umtriebe der fran­zösischen Chauvinisten verdammt und jede Einmischung derselben in elsaß-lothringische Angelegenheiten zurückweist, sondern auch treu zu Kaiser und Reich zu stehen gewillt ist. Ließen sich aber die Unterzeichner der an den Kaiser gerichteten Adresse etwa durch die Erwägung leiten, daß eine minder entgegenkommende Fassung geboten wäre, um den lothringischen Mitgliedern des Landesausschusses die Unterschrift zu ermöglichen, so hat die spätere Zurückhaltung dieser Mitglieder gezeigt, daß eine solche Rücksicht­nahme übel angebracht war. Immerhin wird die Adresse insbesondere in Frankreich ihre Wirkung nicht verfehlen, da daraus erhellt, daß die Demonstrationen der ehe­maligen Patriotenliga, mögen sie sich auch vor der Statue der Stadt Straßburg aus der Pariser Place de la Concorde abspieleu, in Elsaß-Lothringen nicht den erwarteten Widerhall finden.

Wie sehr andererseits bedauert werden darf, daß der Versuch, rreundnachbarliche Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich herzustellen, gewissermaßen im Keime erstickt worden ist. so liegt doch eine Gefahr zu Verwicklungen durchaus nicht vor. DaS Verhältniß Deutschlands zu Frankreich ist eben nur dasselbe geblieben, auch unterliegt keinem Zweifel, daß die öffentliche Meinung in Europa das versöhnliche Verhalten Deutschlands anerkennen mußte, während die französische Regierung bei aller Correctheit im internationalen Verkehre zum mindesten den Demagogen im eigenen Lande gegenüber bedenkliche Zeichen der Ohnmacht sich zu schulden kommen ließ. Hatte der Minister des Inneren, Constans, seiner Zeit durch energisches Vorgehen gegen den Boulangismus von Frankreich eine schwere Gefahr abgewendet, so ließ er später diese Entschiedenheit immer mehr vermissen. Beinahe gewann es den Anschein, uls ob Diejenigen Recht behalten sollten, die dem Minister des Inneren allerlei ehr­geizige Absichten zuschrieben, deren Verwirklichung auch die Unterstützung von Seiten der Ultraradicalen zur Voraussetzung hat. Wie sehr Constans die Gunst der äußersten Linken anstrebte, erhellte aus seinem Verhalten in derThermidor" - Angelegenheit. Genügte doch damals das wüste Toben einer Anzahl von Parteigängern der Pariser Commune, um den Minister des Inneren zu feinem Verbote der Aufführung des Stückes von Victorien Sardou zu bestimmen, obgleich allen gesetzlichen Vorschriften genügt worden war. Man wird denn auch nicht bei der Annahme sehlgehen, daß der Triumph, welchen die Ultraradicalen errangen, als sie die Unterdrückung der Aufführung eines Theaterstückes lediglich aus dem Grunde durchsetzten, weil darin Robespierre und die Schreckensherrschaft mit einer gewissen Schärfe beurtheilt wurden, wesentlich dazu beigetragen hat, den Muth der Boulangisten wieder anschwellen zu lassen. Hatte sich die Regierung ein erstes Mal schwach gezeigt, so durste angenommen werden, daß ein