Literarische Rundschau.
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zu verlieren. Diese Vorliebe aber entspringt durchaus nicht einem Mangel an Talent; im Gegentheil: es gibt nichts Schwierigeres, nichts Höheres und Gewaltigeres als die wahrheitsgetreue Darstellung des Individuums — die Hauptaufgabe der Novelle.
Auf keinem Gebiete der modernen deutschen Literatur ist eine solche Fülle verheißungsvoller Talente ausgetaucht als gerade aus dem der Novelle. Man könnte beinahe glauben, daß die Zerrissenheit, an der die Gegenwart leidet, im Verein mit den unsere Sinne verwirrenden Ahnungen und Gefühlen, mit denen wir in eine neue Epoche Hineintasten, einen günstigen Boden für die Novelle bildeten; daß wir inmitten der Kämpfe und Zweifel unserer Zeit um so stärker das Bedürfniß empfinden, die Naturlaute des Herzens zu vernehmen. Zu den schönsten und stärksten Talenten, die mir in den letzten Jahren begegnet sind, gehört Ilse Frapan, die bereits mit dem Wenigen, was sie bisher uns geboten, gezeigt hat, daß sie berufen ist, die deutsche novellistische Kunst zu vertiefen und zu bereichern. Die Leistungen dieser Schriftstellerin bilden in ihrer Gesammtheit den besten Beweis für die Wahrheit der Behauptung, daß ein individuelles Talent sich auf dem schwierigeren Gebiete der Novelle heutzutage viel intensiver, viel eindringlicher äußern kann als in dem weiten, grenzenlosen Bereiche des Romans. Ilse Frapan wandelt nicht auf dem geräuschvollen Heerweg der modernen Literatur, sie geht einsam und sicher ihre eigenen Pfade, ohne zu vergessen, daß sie ein Kind ihrer Zeit ist, daß der Dichter eine ebenso wichtige Culturmission zu erfüllen hat wie der Gelehrte. Die Selbständigkeit ihres Auftretens, die Sicherheit ihres Könnens muß der jungen Schriftstellerin besonders hoch angeschlagen werden, da in der jüngsten deutschen Generation eine heillose Verwirrung in Bezug auf ästhetische Principienfragen immer mehr und mehr um sich greift. Das Wehen des neuen Zeitgeistes hat ihre Sinne umnebelt; das köstliche Erbe, das unsere Clafsiker hinterlasfen, stoßen sie von sich; die gewaltigen modernen wissenschaftlichen Resultate haben in ihren Köpfen eine gefährlich gährende Halbbildung erzeugt, in der sie mit hervorragenden ausländischen Autoren einen fanatischen Götzendienst treiben.
Ilse Frapan sieht diesem Treiben so zu sagen von der Ferne aus zu; ihr künstlerischer Jnstinct, ihre gesunde Welt- und Menschenauffassung lehrt sie genau die Grenze erkennen, wo das Alte thatsächlich abgestorben und durch das Neue, Moderne in der dichterischen Darstellung ersetzt werden muß. Die Hauptforderung der Naturalisten und der Realisten: das Milieu, erfüllt sie als ein selbstverständliches, uraltes Gesetz eines jeden dichterischen Schaffens. Das Milieu liegt ihr gewissermaßen im Blute, es erweist sich mit ihrer Kunst als untrennbar verknüpft und nicht als der theoretisch ausgeklügelte Cardinalpunkt einer modernen, auf naturwissenschaftlicher Grundlage aufgebauten Aesthetik. Sie fliegt nicht zum Himmel empor, um mit Gott über irdische und überirdische Dinge Zwiesprache zu halten; sie versenkt sich auch nicht in die tiefsten Abgründe seelischer Probleme; sie bleibt hübsch auf der Erde, und auch da bewegt sie sich nur in engem, kleinem Umkreis der hausbackenen Alltäglichkeit. Sie schildert eben nur, was sie kennt und weiß, und nicht, was sie gerne kennen lernen und wissen möchte; aber gerade durch die Aufrichtigkeit, mit der sie die Enge ihres Darstellungsgebietes einräumt, erhalten ihre Novellen die Frische der Unmittelbarkeit, den Zauber des Selbsterlebten, mit einem Worte die echte künstlerische Weihe der Wahrheit. Ilse Frapan bedient sich zweier Dialekte: des Hamburger Platts und des Schwäbischen, ohne daß man sie deshalb unter die Dialektdichter einreihen darf. Es geht so natürlich in ihren Schriften zu, daß es gar nicht anders kein kann, als daß ein Schwabe oder ein Hamburger, wenn er auftritt, nur so spricht, wie er es in der Wirklichkeit thun würde. Ein gütiges Geschick hat ihr Talent mit einer herrlichen Gabe bereichert, einem köstlichen Humor, der gerade in ihren bedeutendsten Leistungen seine schönsten und erquickendsten Lichter spielt. Am besten von ihren Prosadichtungen haben mir die „Altmodischen Leute" gefallen. Die Lectüre dieser Novelle hat in mir ein unsäglich wohliges Gefühl wachgerüfen. Die Geschichte — die Leser der „Rundschau" kennen sie— ereignet sich in Hamburg, die Helden sind kleine Kaufmannsleute: zwei Brüder, zwei Schwestern. Eine der Letzteren macht eine Eroberung, sie verlobt sich mit ihrem
Deutsche Rundschau. XVII, 7 . 10