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Deutsche Rundschau.
Verehrer, der aber bringt in das innige Zusammenleben der Geschwister ein fremdes, störendes Element hinein, die Verlobung geht zurück. Mit welcher Kunst aber ist dieser einfache Vorgang dargestellt! Die derbe Gutmüthigkeit mehrerer Alltagsmenschen, die in primitivsten Dingen sich äußernde Geschwisterliebe wird hier in eine hohe dichterische Region emporgehoben. Am Abend des Tages, an dem die beiden Verlobten sich trennten, feiern die Geschwister ein Fest, so daß die Nachbarn glauben, es fei bei ihnen Polterabend. In Wahrheit aber liest eine der Schwestern, die ehemalige Braut, eine rührende Liebesscene aus einem Colportage-Roman vor, und die drei Zuhörer sind tief gerührt und trinken, wenn ich nicht irre, Punsch zu diesem Kunstgenuß. Mit dieser feinen, die naive Idealität jener Leutchen charakterisirenden Wendung schließt die Geschichte, die zu den gelungensten und werthvollsten humoristischen Dichtungen der modernen deutschen Belletristik zählt. Eine ebenfalls entzückende Wirkung übt „Thedge Bolzen" aus, ein Hamburger Knabe, den zwei Lehrerinnen am heiligen Abend kleiden und speisen und der Anlaß zur Verlobung einer seiner Wohl- thäterinnen gibt. Die Handlung selbst ist unendlich gering; aber die Art und Weise, wie Ilse Frapan die Leiden des armen Jungen vorsührt, ist eine so gemüthvolle, ans Herz greifende, daß wir ganz im Banne der Erzählerin stehen. Daß ihr Talent auch breit ausgeführten Arbeiten gewachsen ist, zeigt sie in der schwäbischen Dorfgeschichte: „Was Gottes Wille ist". Zwei junge Mädchen stehen im Vordergründe des Interesses, die nach mancherlei Eifersüchteleien, Mißverständnissen, Jntriguen und sogar einem artigen Kirchenfcandal die Männer heirathen, denen sie zugethan sind. An dieser Novelle läßt sich ebenso wenig etwas aussetzen wie an der anderen: „Jörg und Haus Katzenwadel", einer geradezu meisterhaften Leistung bis auf den Schluß. Der sonnige Humor steht der Verfasserin besser zu Gesicht als der tragische Ernst, und daß sie eine prächtig durchgeführte novellistische Burleske mit einem tragischen Effect enden läßt, erscheint mir bedenklich. Jörg und Hans sind zwei, echt schwäbisch dickköpfige Brüder, denen eine Zigeunerin prophezeite, daß sie eine Gräfin heirathen werden. Es entspinnt sich nun zwischen den Beiden ein höchst drolliger Wettstreit um die Hand der Aristokratin. Daß Ilse Frapan die Gräfin sterben läßt, hätte ich ihr nicht übel genommen; aber die beiden Brüder werden von einem Zug überfahren und getödtet. Es ist, als ob sich plötzlich ein behaglich lachendes Antlitz in ein entsetzlich verzerrtes Leichengesicht verwandelte. Groteske Narrheit sollte man nicht als tragische Schuld benützen.
Mit größerem Erfolg behandelt Ilse Frapan einen tiefen, seelischen Conflict in „Recht wider Recht", einer Tragödie der plötzlich erwachenden Genußsucht im Anprall an streberhafte, hartherzige Pedanterie. Auch hier stehen zwei Geschwister einander gegenüber, der Bruder ersticht die Schwester. Trotz der Dumpfheit und Schwüle des Stoffes packt uns die Geschichte mächtig; das gestaltende Talent, die scharfe psychologische Beweiskraft der Autorin feiern hier einen Triumph. Zu reiner, voll und warm ausklingender Wirkung gelangt unter ihrer kunstgeübten Hand ein tragischer Stoff in der „Last". Die Seelen quälen eines Mörders, die Gewalt des nach Sühne schreienden Gewissens sind bereits zu wiederholten Malen von Dichtern ersten Ranges zum Gegenstand erschütternder und unvergeßlicher poetischer Darstellungen gemacht worden, und es war für die junge Kraft Ilse Frapan's ein kühnes Wagniß, mit diesen Dichtern in die Schranken zu treten. Das Wagniß ist ihr in überraschender Weise geglückt: nicht etwa, als ob sie dem Thema einige neue, blendende Seiten abgewonnen hätte; sie ließ sich mehr angelegen fein, das Milieu der blutigen That greifbar deutlich zu machen und dadurch die Theilnahme des Lesers für den Unheilshelden des Vorgangs dauernd zu wecken.
Einige Anklänge an das Tragische weist auch die frisch und lebhaft dargestellte Skizze: „Von der rauhen Alp" auf. Jemand kann das Wildern nicht lassen und bringt sich dadurch um den Besitz des geliebten Mädchens- Mit einer unerschrockenen, drallen Gegenständlichkeit werden uns die Gestalten gezeichnet. Das ist eben die Kunst der Verfasserin: eine scheinbar unbegrenzte und doch sich streng innerhalb des
ästhetischen Geschmackes bewegende Natürlichkeit. In ihren kleinen Skizzen und