Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

Diese Verse bringen auch zum Ausdruck, wie sich Vischer's Bedeutung in der Dichterin eigener Seele widerspiegelt:

Du lehrtest uns des wundervollen Reigens Geheimes Maß, das Wenigen bewußt;

Gesetz des Strebens, Schwellens, Fallens, Reigens,

Der Farben und der Töne hohe Lust;

Daß wir versteh'n der Linien zarte Rede,

Wenn wir dem Künstler in die Werkstatt schau'n,

Und an der reizend ausgeglich'nen Fehde Von Stoff und Form nachfühlend uns erbau'n.

O, führ' uns Du! Wir folgen Dir so gerne,

Sei lyrisch oder kritisch nun Dein Gang!

Stets führt' er auf die Höh'n in klare Ferne,

Wo rein die Luft und Wohllaut der Gesang.

Laß Deines prächt'gen Zornes Donner rollen In des Gemeinen eklen Dunst und Lug,

Du Besserer! Lauterer! Ritter aus dem Vollen,

Wie jemals einer in die Drachen schlug.

Wir aber sagen, daß Ilse Frapan selbst zu jenen Wenigen gehört, denen das geheime Maß des wundervollen Reigens" bewußt ist; und daß derTöne hohe Lust" auch in ihren Versen empfunden wird. Wünschen wir ihrem ungewöhnlichen und viel­seitigen Talent, dessen Kraft vornehmlich in der herzlichen Liebe zu den selbstgewählten Gestalten, einer seltenen Natürlichkeit und einem sieghaften Humor beruht, eine immer reichere, vollere Entfaltung! Ernst Wechsler.

Alltagsleben einer deutschen Frau.

Alltagsleben einer deutschenFrau zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts.

Von Alwin Schultz. Mit 33 Abbildungen. Leipzig, S. Hirzel. 1890.

Der Verfasser bezeichnet sein Buch als eine kleine Ferienarbeit; für Alwin Schultz mag es eine solche sein, für einen anderen Verfasser würde es ein ganz respektables Stück Arbeit vorstellen. Schultz ist eben ein Gelehrter, der das vollständige Rüstzeug historischer Forschung gleichsam spielend beherrscht; er hat uns in seinemHöfischen Leben zur Zeit der Minnesänger" mit vollendeter Kunst eine weit entlegene Periode wieder aufgebaut, und ist nun, wie er selber sagt, aus Zufall auf das Frauenleben zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts gestoßen. Seinem Buche liegt zu Grunde das auch schon früher von Kulturhistorikern benutzteFrauenzimmer-Lexikon" von Amaranthes, erschienen zu Leipzig 1715. Schultz erkannte, daß sich aus dem stattlichen Werke von fast zwölfhundert Spalten ein Bild von dem Leben der Frauen zu jener Zeit gewinnen lasse, daß es im Wesentlichen darauf ankomme, das alphabetisch geordnete Material fachlich zu gruppiren, um zu erfahren, wie zu jener Zeit eine Frau sich bei allen Gelegenheiten des Lebens benahm, was für Geräthe, Kleider, Wohnungs­und Kücheneinrichtungen sie zu ihrer Benutzung hatte, was sie las, was sie arbeitete, sogar ein wenig von dem, was sie dachte und glaubte.

Selbst aus den reichsten Perioden unserer Literatur erfahren wir von dem Alltags­leben der verschiedenen Stände erstaunlich wenig; uns fehlen Memoiren und Brieffamm- lungen wie diejenigen, aus welchen die Gebrüder Goncourt für Frankreich ihr reizvolles WerkTa kewmk au ckix-üuitieiutz siooltz" aufbauen konnten. Die wenigen Romane der älteren Zeit gehen auf das Milieu ihrer Helden sehr wenig ein; man versuche einmal aus demWerther" und denWahlverwandtschaften" die eigentlichen Lebensgewohn­heiten der Gesellschaft herauszuklauben! SelbstWahrheit und Dichtung" und Wilhelm Meister" geben nur gelegentliche Brosamen. Für die Zeit bis zum Beginne unserer neuen Literatur fehlen aber selbst diese, wenn auch spärlichen Quellen.

Von den allenfalls lesbaren Schriften nach dem dreißigjährigen Kriege waren es fast lediglich die politischen Predigten streitbarer Pastoren gegen Luxus.und Mode­teufelei, aus denen uns ein etwas reicheres, aber natürlich arg verzerrtes Bild der