Literarische Rundschau.
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Lebensgewohnheiten jener Zeit erwuchs. Es ist daher ein sehr glücklicher Griff von Alwin Schultz, daß er uns, wenn auch nicht aus eine srische Wiese, so doch aus einen sorgsam gefüllten Dürrboden bürgerlicher Lebensweisheit jener Tage sührt. Der wackere Advocat Gottlieb Wilhelm Corvinus, welcher sich in die Falten des Schriftsteller- namens Amaranthes hüllt und seinem Frauenzimmer-Lexikon einen Titel von sechsunddreißig Zeilen Vorsetzt, ist ein sehr pedantischer Geselle, der Alles und Jedes zusammengetragen hat, was für die Damenwelt jener Tage Wissenswerth erschien, und sich auch die Mühe nicht verdrießen läßt, von den gebräuchlichsten Gegenständen der herrschenden Mode und des Hausgeräthes eine möglichst genaue Definition zu geben. Schultz ist ihm mit der Sorgfalt des Historikers Schritt für Schritt durch die Wohn- räume, Schlafzimmer, Küche und Keller gefolgt; er sührt an den Wäscheschrank und die Kleiderkiste, in die Speisekammer und den Bodenraum; wir sehen von der Geburt bis zum Grabe die Frauen aller Stände in ihren Gebräuchen, Religionsübungen und ebenso in ihren Mißbräuchen und Aberglauben. Das alphabetische Register enthält mehr als vierzehnhundert Stichworte, über welche das Buch Auskunft ertheilt.
Zur Bekräftigung der Mittheilungen von Amaranthes hat Schultz die erwähnten Schriften der zeitgenössischen Moralprediger, an ihrer Spitze den wohlbekannten Abraham A. Santa Clara herangezogen, und es ist sehr vergnüglich, die trockenen Schematifirungen des Lexikons aus diese Weise mit lustigen Verslein sich beleben zu sehen; aber das Gesammtbild wird doch ein wenig verschoben, die Unsitten und Narrheiten der Zeit treten mit besonders starkem Kolorit hervor, welches durch die ceremoniösen Ausführungen des „Talander Getreuer Hof-Meister" nur mäßig gemildert wird.
Sehr wichtig ist für die immer wiederkehrende Klage über Hoffahrt und Luxus die scharfsinnige Bemerkung des Verfassers, daß dieses unmäßige, auf den bloßen Schein berechnete Leben sich doch allein in bestimmten Gesellschaftsschichten geltend gemacht habe, und zwar ganz besonders im Beamtenstande, welcher in dem gewissenlosen Treiben der Fürsten Vorbild und Anhalt fand und naturgemäß die bedrückte Bevölkerung am meisten ausbrachte, eine Stimmung, die ja auch in der Literatur mit ihren verbrecherischen Ministern und Hofmarschällen lebendigen Ausdruck fand. Es wäre Wohl wünschenswerth, daß der Verfasser bei einer zweiten Auflage diese jetzt gegen Schluß (S. 254) eingestreute Bemerkung mehr an den Kopf des Buches stellte.
Eine wichtige Ergänzung erfährt das Buch durch die dreiunddreißig Illustrationen, die wir gerne noch erweitert gesehen hätten. Es ist eine sehr merkwürdige Erscheinung, wie wenig bei Trachten, Geräthen u. dgl. eine Beschreibung, selbst wenn sie auf Genauigkeit Anspruch machen darf, eine zutreffende Vorstellung von dem Gegenstände gibt. Jeder von uns wird ohne Weiteres ein Frauenkleid vom Anfang des achtzehnten Jahrhunderts unterscheiden von einem Rococokleide oder gar einem Kleide unserer Tage, und nun lese man die Beschreibung des Gesellschaftskleides (S. 45), bei der, wie überall, der Verfasser den Amaranthes selber reden läßt. „Das Aufsteckekleid ist ein dem Frauenzimmer gewöhnliches Oberhabit aus Sammet, Lroearä, Damast, Atlas, Olmgriii, Lasset, Oammslot, halbseidenen und anderen Modezeugen geschnitten und zubereitet, hat einen kurtzen, angesetzten, geschobenen und in Falten gelegten, zuweilen auch ganz glatten Leib (jetzt Taille genannt), desto längeren aber und weiten, schief und unten spitzig zu lauffenden Schurz oder Schweif; die Ermel am selbigen sind zwar oräinair halb und sehr stark in Falten über einander geschlagen, auch mit Aufschlägen oder aufgewickelten Umschlag versehen, etmagiron aber öfters nach denen eingeführten Moden, daher die Ausschläge an selbigen bald schmahl, bald breit, glatt oder ausgeschweift feynd, zuweilen werden auch bey vornehmen Dames gold- oder- silberne breite Spitzen oder auch Frantzen in Form einer Lngagsauw (unsere Manschetten) dran gehefftet, man findet in selbigen große gegossene Stücken Bley, damit sich der Ermel nach dem Arm recht herunter ziehet. Die Aufstellung an solchen Kleidern ist auch unterschiedlich, gestalt der Schurtz von beyden Seiten auf vielerley ka?oa in große Falten übereinander geleget und mit großen Nadeln hinten aufgestecket auch mit untergelegten starkem Papier untersteiffet wird; der Schweifs aber oder das Ende des Schurtzes wird entweder gleich von unten hinauf nach des Rockes Länge oder