Heft 
(1891) 67
Seite
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Literarische Rundschau.

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eröffnen:Ewiges Wesen . . . vor den Stufen Deines Thrones .... sage ein Ein­ziger, wenn er es wagt: Ich war besser als dieser Mensch," weigert sich vr. Möbius, einem krankhaft gesteigerten Selbstbewußtsein" znzuschreiben (S. 103). Er hat voll­kommen Recht, denn die Gründe seiner Weigerung sind durchaus stichhaltig. Jahre früher, als von keiner geistigen Störung die Rede war, in den Briefen an Mme. de la Tour-Franqueville, in jenen an Malesherbes, an vielen anderen Stellen, finden sich ganz ähnliche Aeußerungen. An Malesherbes schreibt er 1762:Trotz alledem denke ich, voll Hoffnung auf Gottes Güte zu sterben, und in der festen Ueberzeugung, daß von allen Menschen, welche ich im Laufe meines Lebens kennen gelernt habe, keiner bester war als ich." Aus diefer stets wiederkehrenden Behauptung spricht keine vorübergehende Stimmung, sondern ein gewisses System, allerdings im denkbar schnei­dendsten Gegensatz zur christlichen Demuth, von der unser Verfasser sagt, die Frage, ob sie besser sei, berühre ihn hier nicht (S. 54).

Was aber ihn und uns berührt, ist dieses:

Rousseau, der von sich in dieser Weise sprach, war als Knabe lügenhaft und nasch­haft,ein Thunichtgut". Als Lehrling brannte er durch. Dann wurde er Diener in einem herrschaftlichen Hause. Es folgte die bekannte Episode, da er ein unschuldiges Mädchen des übrigens sehr harmlosen Diebstahls anschuldigte, den er selbst begangen hatte. Alles das wollen wir, mit I)r. Möbius,wenig bedeutend" nennen (S. 10). Es sollte besser kommen. Aus dem Hause eines Wohlthäters, der ihn zu seinem Secretär, und zwar in diplomatischer Eigenschaft bestimmt hatte, wurde er seines Leichtsinns wegen fort­geschickt. Es fand sich ein Beschützer in der Person des Musikdirectors von Annecy. Allein dieser litt an Alkohol-Epilepsie, und in einem Krampfanfall ließ ihn Rousseaufeiger Weise" in Stich. Er ward hieraufeine Art von Vagabund", und Madame de Warens nahm ihn zum zweiten Male auf. Sie corrumpirte ihn zwar sittlich, bildete ihn aber geistig und sorgte wie eine Mutter für sein Wohl. Er hat sie später unter­stützt, dann ließ er sie, seinen eigenen Worten nach, in Elend zu Grunde gehen, und hat sie in denOonksssioub" mit unsterblicher Schande bedeckt.Ich hasse die Großen," schreibt er am 28. Januar 1762 an Malesherües. Die Großen aber haben ihn mit Gunst überschüttet.

Nichts ließ seine künftige Größe ahnen, als ihn der französische Gesandte in Venedig zu seinem Privatsecretär machte und der Generaleinnehmer Francueil ihm eine Cassier- stelle gab. Dem schon berühmten Schriftsteller kamen der Herzog und die Herzogin von Luxembourg mit der aufrichtigsten Freundschaft entgegen und boten ihm eine Heimath in Montmorency. An der Gesinnung, die einer der besten Männer seiner Zeit, Malesherbes ihm entgegenbrachte, hat Rousseau selbst nicht gezweifelt. Der Prinz von Conti verhalf ihm zur Flucht, als das Parlament denEmile" verurtheilte. Lord Keith wurde sein Beschützer in der Schweiz; Hume nahm ihn gastlich in England auf und erwirkte ihm eine Pension des Königs Georg III., die er ausschlug, wie früher eine solche von Ludwig XV. Choiseul, den er haßte, ließ ihn wiederholt warnen, um ihn nicht verhaften zu müssen, und behandelte ihn schließlich wie einen Kranken, den man unbehelligt läßt. Noch ganz zuletzt bot ein Graf Duprat seine Güter als Asyl, und zu Ermenonville, als Gast des Marquis de Girardin, ist Rousseau gestorben. Nicht der königliche Prinz von Conti, sondern seine Dienerschaft,der Bohner, der Perrückenmacher," verloren die Geduld, weil sie Rousseau für einen Spion hielten und er ihnen seine unwürdige Gefährtin, Therese, als seineSchwester" vorstellte, dieselbe Therese, wegen welcher er seine fünf Kinder ins Findelhaus schickte,weil sie sonst Spitzbuben geworden wären."

Rousseau, der Anwalt der Natur, ist der Natur Abbitte schuldig. Niedrigkeiten wie die, welche seinen Namen verdunkeln, sind die Ausnahmen, nicht die Regel.

Seiner eigenen Theorie liegt der Glaube au die ursprüngliche Güte des mensch­lichen Herzens zu Grunde. Thatsächlich aber wird das moralische Gleichgewicht der Welt von Solchen aufrecht erhalten, welche die Natur bekämpfen, das eigene Herz überwinden, mit stillem Heldenmuth der täglichen Pflicht sich opfern und dann sich nicht für besser halten, als den geringsten ihrer Brüder. Lady Blennerhassett.