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Deutsche Rundschau.
geschoben. Alles geräumig und übersichtlich. Aber ehe zehn Minuten um waren, herrschte durch den ganzen Raum hin ein summendes Durcheinander, und ein Ueberblick ermöglichte sich erst wieder, als die Mehrzahl an zwei rasch zurechtgemachten Spieltischen Platz genommen hatte, links die Schimmelmann mit Pentz und Lundbye, rechts die Pastorin mit Erichsen und Westergaard. Holk und Bie, die gern mitgespielt und das Whist mit dem Strohmann zu einem richtigen Whist erhoben hätten, mußten auf Mitspiel verzichten, weil Schleppegrell, den man doch nicht allein lassen konnte, grundsätzlich keine Karte nahm. Nun war freilich noch Ebba da; diese hatte sich aber, als Wirthin, jedem Einzelnen auf Wenigstens Augenblicke zu widmen, und trotzdem der Tisch vorsorglich im Voraus gedeckt war, gab es doch noch vielerlei zu thun, und die Weisungen an Karin und den zur Aushülfe mit herangezogenen Gärtner nahmen kein Ende.
Holk und Bie, nachdem sie sich in den Verzicht gefunden, hatten sich schließlich in eine Ecke zurückgezogen, die dicht neben der Alcovennische durch einen vvrspringenden Mauerpfeffer gebildet wurde. Hier war man denn auch bald in einer intimen Unterhaltung, die der allzeit wißbegierige Holk natürlich nach Island hinüberzuspielen wußte.
„Wissen Sie, vr. Bie, daß ich Sie wegen Ihres schiffsärztlichen Aufenthalts da oben geradezu beneide, nicht wegen Scorbut und der Amputationen, die ja dabei Vorkommen sollen, aber doch wegen des Ethnographischen . .
Bie, nur höherer Feldscheer, der das Wort „ethnographisch" vielleicht noch nie gehört, jedenfalls aber über seine Bedeutung nie nachgedacht hatte, schrak etwas zusammen und hätte so ohne Weitres nicht Red' und Antwort stehen können; der ganz in Fragelust ausgehende Holk aber sah nichts davon und fuhr fort: „Und wenn uns Island bloß ein beliebiges Etwas wäre, das uns so eigentlich nichts anginge, nun, so könnte man mit seinem Interesse zurückhalten; aber die Isländer sind doch unsre halben Brüder und beten jeden Sonntag für König Friedrich gerade so gut wie wir und vielleicht noch besser. Denn es sind ernste und fromme Männer. Und wenn ich dann denke, daß man so in den Tag hineinlebt und gerade von dem nichts weiß, von dem man recht eigentlich was wissen müßte, dann schäme ich mich und mache mir beinah Vorwürfe. Was wäre, wie mir mein alter Pastor Petersen drüben Wohl Hundertmale versichert hat, was wäre beispielsweise die ganze germanisch-scandinavische Literatur, wenn wir den Snorre Stnrleson, diesen Stolz der Isländer, nicht gehabt hätten? Was Wäre es mit der Edda und vielem Andren? Nichts Wär' es damit. Und nun frag' ich Sie, vr. Bie, sind Sie während Ihrer isländischen Tage diesen Dingen als einem Etwas begegnet, das noch Jeder kennt und liebt, und singt und sagt, die Frauen und Mädchen in den Spinnstuben und die Männer, wenn sie auf den Robbenfang ziehen?"
Schleppegrell, der all diese Fragen mit angehört hatte, wurde verlegen in die Seele seines Schwagers hinein, Bie selbst aber hatte sich inzwischen erholt und sagte mit gutem Humor: „Ja, das weiß eigentlich Alles mein Schwager Schleppegrell viel besser, der nicht da war; Personen, die nicht da waren, wissen immer Alles am besten. Ich weiß von den Isländern bloß, daß ihre Betten besser sein könnten, trotzdem sie die Eidergans so zu sagen vor der Thür haben.