Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

Das, was die Flechten befähigt, selbst auf nacktem Stein zu wachsen, ist eben der Umstand, daß zwei Organismen an ihrem Aufbau betheiligt sind, ein Pilz und eine Alge. Der Pilz ist Wie immer ohne grünen Farbstoff (dem so­genannten Chlorophyll) und daher auch nicht zu selbständiger Existenz befähigt. Zu dieser Existenz verhilst ihm erst die Alge, die andere Genossin, die aus grünen Kügelchen oder Fäden besteht.

Als Algen bezeichnen wir bekanntlich jene grünen, seinen Fäden, die in unseren Bächen wachsen, sowie auch die braunen oder rothen, weit ansehnlicheren Tange des Meeres. Die Algen, welche mit dem Pilz zusammen den Flechten­körper bilden, sind freilich der einfachsten Art und werden den untersten Ab­theilungen dieser sormenreichen Familie zugezählt. Die kleinen grünen Kugeln oder Fäden der Algen innerhalb des Flechtenkörpers enthalten außer anderem lebendigem Inhalt auch Chlorophyll. Dieses Chlorophyll ermöglicht ihnen die Nutzbarmachung der atmosphärischen Nahrung. Die Kohlensäure, welche unsere Lust in geringen Mengen führt, wird von dem grünen Inhalt der Algenzellen in ihre beiden Bestandtheile, den Kohlenstoff und den Sauerstoff, zerlegt. Die Pflanze behält den Kohlenstoff und vermag aus demselben Stärke oder stärke­ähnliche Stoffe zu bilden. Damit der Kohlenstoff so verarbeitet werde, sind aber noch andere Nahrungsstoffe nöthig, und für die Zufuhr dieser sorgt der Pilz. Die Vertheilung der beiden Gefährten, der Alge und des Pilzes, im Körper der Flechte, ist eine solche, daß die Pilzfäden die Oberstäche einnehmen, die Alge sich an das Innere hält. Das symbiotische Zusammenwirken beruht darauf, daß die Alge zwischen den Pilzsäden Schutz findet und ihr gleichzeitig die nöthigen Salzlösungen von dem Pilze zugeführt werden. Aus dem Kohlen­stoff der Atmosphäre und diesen Salzlösungen bereitet die Alge, so lange sie vom Lichte getroffen Wird, Nahrungsstoffe, die sie zunächst für sich selbst ver­wertet, deren Ueberschuß sie andererseits an die Pilzsäden abgibt. Bei trocknem Wetter wird die Flechte so hart und brüchig, daß man sie zwischen den Fingern zerreiben kann; kommt Regen, so wächst sie alsbald weiter. Dieses Wachsthum ist freilich ein sehr langsames, so daß bei größeren Flechten, namentlich Stein­flechten, auf ein hohes Alter zu schließen ist. Beim Austrocknen wird der Flechtenkörper undurchsichtig, was die eingeschlossene Alge vor zu starkem Lichte, das ihr jetzt nur Schaden bringen könnte, schützt; befeuchtet, Wird der Flechten­körper wieder durchscheinend, und deutlich schimmert dann die grüne Färbung der inneren Algenzellen zwischen den Fäden des Pilzes hindurch, falls zwischen letzteren nicht andere Farbstoffe sich abgelagert finden. Denn, das sei noch hin­zugefügt, die Flechten liefern uns viele geschätzte Farbstoffe, so Lakmus und Or- seille, und auch der sogenannte französische Purpur, der in der Seidenfärberei Verwendung findet, stammt von ihnen her. Im hohen Norden dienen in schwerer Zeit manche Flechten dem Menschen als Nahrung, des Lichenins, einer Art Stärke wegen, welche sich in ihrem Inneren findet. Für eine Flechte hat man auch lange Zeit das Manna der Israeliten gehalten. Es sollte dieses Manna die Flechte LMasrotüallia sseulenta sein, die in den Ländern von der Krim bis zur Kirgisensteppe, in Kleinasien, Persien und Nordasrika, auf dem Erdboden oft in großen Mengen wächst. Sie bildet knollenförmige Körper, über