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Deutsche Rundschau.
Buch Mose (16, 31), daß es wie Kuchen mit Honig schmecke, was Wohl auf das heutige Manna noch Paßt, wie es dem Reisenden in dem Sinaikloster geboten wird, nicht aber auf die Mannaflechte der asiatischen Steppe. Auch liegen zwar Berichte über Mannaflechten aus der Sahara vor, doch hat man dieselben auf der Sinaihalbinsel bis jetzt nicht beobachtet. Wie sehr wir somit auch die anspruchslosen Flechten ehren möchten, das „Erdbrod" der Tartaren für das biblische Manna auszugeben, geht nicht an.
IV.
Ein ganz ähnliches symbiotisches Verhältniß, wie wir es bei den Flechten kennen lernten, kehrt eigentümlicher Weise an einer anderen Stelle im organischen Reich wieder. Man hatte Wohl schon lange bemerkt, daß gewisse Thiere einfachen Baues, welche zu den niedrigsten Abtheilungen des Thierreiches gehören, im Innern ihres Körpers grüne oder auch gelbe Zellen einschließen. Man hielt diese Zellen zunächst für Organe des Thierkörpers selbst , dann für Parasiten; erst neuerdings stellte es sich heraus, daß Symbiose vorliegt. Die kleinen, meist grünen Zellen, um die es sich handelt, stellen Algen vor, die in einem ganz ähnlichen Verhältniß zu dem Thierkörper stehen, wie innerhalb eines Flechtenkörpers zum Pilze. Sehe ich von den zahlreichen Seethieren ab, für Welche ein solches symbiotisches Verhältniß gilt, so zeigen es von unseren Süß- wasserthieren die Schwämme, Polypen und gewisse Aufguß- oder Infusionstierchen. Die Beziehungen dieser Thiere zu den Algen bleiben im Wesentlichen stets die nämlichen, so daß ich mich auf das Beispiel der Aufgußtierchen oder Infusorien beschränken kann.
Man hat diese Thierchen Aufgußtierchen genannt, weil sie sich meist einzustellen pflegen, wenn Pflanzentheile mit Wasser übergossen werden, und der Aufguß stehen bleibt. Sie sind in der Natur äußerst verbreitet, und jedes Glas Wasser, das man aus einem Tümpel schöpft, enthält viele Tausend solcher Geschöpfe. Es gab eine Zeit, wo man sie für die kleinsten der bestehenden Wesen hielt, man kannte damals noch nicht die Bakterien. Seitdem sind die Vergrößerungsgläser so vervollkommnet, ist deren Leistungsfähigkeit so gesteigert worden, daß die Aufgußthierchen zu den Riesen der mikroskopischen Welt gehören.
Man stelle sich eines von den kleinen Aufgußthierchen, das nur Vio Millimeter Länge mißt, mit einem der neuen Mikroskope dreitausendmal vergrößert vor: das gibt ein dreißig Centimeter langes Geschöpf. Bei derselben Vergrößerung erscheinen gewisse kleinste, runde Bakterien, die sogenannten Mikrokokken, fast nur punktförmig. Das Verhältniß eines solchen Bacterium zu den genannten Aufgußthierchen ist wie das einer Mücke zu einem Kalb. Eines der größten Aufgußthierchen, das die enorme Größe von fast einem Millimeter erreicht, ist der Stentor, der seinen Namen nicht nach seiner gewaltigen Stimme führt, Wie jener berühmte Kämpfer vor Troja, sondern weil er wie eine Trompete aussieht. Wäre er nicht stumm, so müßte er, so schließt man nach seiner Gestalt, mit einem sehr guten Organ begabt sein. Wie andere Aufgußthierchen, so ist dieser Stentor mit Wimpern bedeckt, die er bewegt, um zu schwimmen. Außerdem trägt er, wiederum darin anderen Aufgußthierchen