Heft 
(1891) 67
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Die Wechselbeziehungen der Organismen.

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geschützt werden gegen solche Ameisen, welche auf Raub der Blätter ausgehen. Diese Ameisen, Blattschneider genannt, sind die gefürchteten Feinde der Pflanzen­welt in den Tropen. Viele Kulturpflanzen erliegen in Brasilien den Angriffen derselben, oder lassen sich doch nur durch sorglichste Ueberwachung vor Vernich­tung schützen. Es wird das vornehmlich für Orangen, Granatbäume und Rosen angegeben, gilt zum Theil aber auch für Mango, Kaffee und Kohl. Besonders pflegen zu leiden die eingeführten Pflanzenarten, und da diese für die Landwirth- schaft meist die wichtigsten find, so hat letztere von den Blattschneidern ganz außerordentlich zu leiden. Mancher Ansiedler wurde durch Ameisen um die Früchte seiner Arbeit gebracht, in seinen Hoffnungen betrogen, auch Wohl in bitteres Elend gestürzt. Ein Zug von Blattschneidern sieht, von einer Anhöhe aus betrachtet, wie eine grüne Riesenschlange aus. Die grüne Färbung des Zuges rührt von den, etwa zehnpfenniggroßen Blattstücken her, welche die einzelnen Ameisen senkrecht auf ihrem Kopfe tragen. Die Blattstücke werden nach dem Neste geschleppt; unbelastete Ameisen kehren nach der Plünderungsstätte zurück. Die Blattstücke dienen den Blattschneidern zum Aufbau ihrer Nester; außerdem scheinen diese Ameisen sich von den Pilzen zu ernähren, welche die angehäuften Laubmassen alsbald dnrchwuchern. Ein Baum, den die braune Schar der Blatt­schneider augefallen hat, ist bald seines gesummten Laubschmuckes beraubt. Die Ameise schneidet, sobald sie ein Blatt erreicht hat, mit ihren scherenartigen Kinn­backen ein entsprechend großes Stück aus demselben heraus. Die Operation dauert eine bis zwei Minuten, worauf das Blattstück senkrecht auf den Kopf gestellt und der Heimweg angetreten wird. Bald erscheint das angefallene Ge­wächs nur noch als elendes Gerippe. Welche Menge Laub ein einziges Nest der in Brasilien lebenden gefürchteten Saüba (^tta eepüalotes) verlangt, zeigt die Größe dieser Nester an; ihr Umfang übersteigt oft einhundert Fuß. Merkwür­dig ist die Vorliebe, welche die Blattschneider den Blättern gewisser Pflanzen gegenüber zeigen, während sie andere verschmähen. So gibt Schimper an, daß in der deutschen Kolonie Blumenau in Südbrasilien die Blattschneider der bit­teren Orange sehr nachstellen, während sie die Blätter der Mandarine unberührt lassen. Die Blätter der beiden Pflanzen sind sehr aromatisch, so daß es das ungleiche Aroma sein muß, welches hier entscheidend wirkt. Jmbaüba-Blätter lieben die Blattschneider sehr, und wären die anderen Ameisen nicht da, um sie zu vertheidigen, so könnte der Baum in Brasilien gar nicht existiren; so aber gehört er dort zu den häufigsten Gewächsen. Denn wehe den Blattschneidern, die es Wagen würden, eine Jmbaüba anzugreifen! Kaum sind sie bemerkt Worden, so stürmen schon unzählige Scharen der Jmbaüba-Ameise aus ihren Verschan­zungen hervor, um sich aus die Feinde zu werfen; diese ergreifen die Flucht, denn die Blattschneider sind sehr feige, wie es häufig Individuen geht, die ein un­sauberes Handwerk in der Natur betreiben. Die Jmbaüba-Ameisen zeichnen sich hingegen durch ihren Muth und ihre Kampffertigkeit aus.

Es liegt somit bei der Jmbaüba eine Symbiose zwischen Pflanze und Thier vor: die Pflanze gibt dem Thier Wohnung und Nahrung; das Thier vertheidigt sie gegen ihre Feinde.