Heft 
(1891) 67
Seite
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Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.

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die Garantie ihrer politischen Unabhängigkeit und ihrer Commercialneutralitüt beim Frieden zu erhalten. Der entscheidende Zeitpunkt ist nun da. Seit einigen Wochen kommen von allen Seiten Nachrichten, nicht nur, daß es im Werke sei, die Weser und Elbe zu besetzen, um Englands Handel zu stören, sondern sogar, daß es leicht geschehen könnte, daß die Städte an Preußen oder Däne­mark veräußert würden. Was das erste Project betrifft, so würde es, wenn auch die Schwierig­keiten, die es von Seiten der nordischen Mächte finden wird, gehoben werden könnten, dennoch seinen Zweck nie ganz erfüllen. Das andere ist zu entehrend für die französische Republik und den ersten Grundsätzen ihrer Staatskunst zu sehr entgegen, als daß ich an die Möglichkeit seiner Ausführung glauben sollte. Indessen ist der große Zweck, auf den das Directorium sichtbar hin­arbeitet, die Erhaltung der Rheingrenze. Dies ist besonders Reubel's unüberwindlicher Wunsch. Unsere innere und äußere Politik ist unglücklicherweise den Grundsätzen nicht immer so treu ge­blieben, als ihr wahrer Vortheil es erfordert hätte. Aus Unkenntniß, aus Hang zu gigantischen Plänen, aus rücksichtsloser Eitelkeit, Alles im Großen zu sehen, ist es möglich, daß selbst Bona­parte dem Einfall nachgebe, das Gebiet der Freiheit nach geographischen Linien zu bestimmen, und alle Länder, die jenseits der Grenze der repräsentativen Verfassungen liegen, den erblichen Regie­rungen aufzuopfern. Wie dem sei, ich habe gezeigt, was die Republik sich selbst und der Meinung schuldig sei, und wie ungereimt es sein würde, so sichere und bequeme Niederlagen unserer Hand­lung zu veräußern, als die Hansenstädte sind, und nur als freie Staaten sein können. Ueberdies ist Dänemark zu vorsichtig, um in den gegenwärtigen Umständen zu einem solchen Project die Hände zu bieten, und selbst Preußen, durch Danzigs Beispiel belehrt, ist vielleicht nahe daran, zu begreifen, wie bald in seinen Händen das reiche Hamburg zur unbedeutenden Provinzialstadt herabsinken würde. Von den Städten selbst, und besonders von Hamburg, läßt sich für ihre Rettung wenig erwarten. Sie gehen ihre Routine fort, und wenn die preußischen Corporale schon da wären, um ihrem Senat die Mühe des Regierens abzunehmen. Selbst in den Gesell­schaften, wo diese Gerüchte nun der Stoff der Unterhaltungen sind, schränkt man sich bloß auf den Wunsch ein, lieber dänisch als preußisch zu werden. Die neueste Nachricht aus Berlin ist diese: Nach einem vom Directorium eingesandten und vom Preußischen Cabinet gebilligten Project soll der König von Preußen Protector des nördlichen Deutschlands werden, wie es der Kaiser vom südlichen sein wird. Ein Theil von Hannover soll an Preußen kommen. Die Städte sollen ihre Unabhängigkeit behalten, aber unter Preußens Schutz. Den Rest des Blattes werden Sie mir erlauben, mit Familiennachrichten auszufüllen. Da muß Jeder anfangen, der Republikaner und Kosmopolite sein will, und mein Loos ist glücklich genug gefallen, um mich die Wahrheit dieser Bemerkung tief und freudig empfinden zu lassen. Soeben kommt Ihre Schwester zum Mittag­essen, wo wir Jakobis erwarten .... So lange noch Wolken über dem Horizonte dieser guten Stadt schweben, die, wenn es auch nur um einiger Gerechten willen wäre, immer verdient, daß der Würgengel vorübergehe, lad' ich Sie nicht ein, zu kommen. Aber das Fest des Friedens und der Freiheit müssen Sie mit uns feiern."

In den Briefen an den Oheim seiner Frau war Reinhard offener und mit- theilfamer, als sonst seine Art. Wie man ihn in der Unterhaltung meist Wort­karg, schweigsam fand Manche legten es als Unbeholfenheit aus, Andere als verdrießliche Laune, so war er auch in seinen Briefen zurückhaltend, zumal in der späteren Zeit; nur leicht Pflegte er die politischen Geschäfte zu streifen, und nur zwischen den Zeilen läßt sich zuweilen ein Urtheil über seine Auftrag­geber herauslesen. Hier in dem gesprächigen Briefe an Hennings vom 5. De- cember verbreitet er sich nicht bloß über die Verhandlungen wegen der Hanse­städte, die ihn beschäftigen, er macht auch seiner Unzufriedenheit mit der aus­wärtigen Politik seiner Regierung Lust. Es war von dem Plane die Rede, die Hansestädte zu verschachern er hält es für undenkbar, daß die Republik dazu die Hand biete da fällt ihm ein, Was sie soeben mit Venedig gethan hat. Er muß gestehen, daß die Republikunglücklicherweise den Grundsätzen nicht immer so treu geblieben ist, als ihr wahrer Vortheil es erfordert hätte." Das

Deutsche Rundschau. XVII, 8. 14