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Deutsche Rundschau.
Trachten nach der Rheingrenze, der Handel mit italienischen Gebieten, der ganze Friede von Cawpo FormioH, wie stimmte das mit den enthusiastischen Ankündigungen, die den Ausbruch des Kriegs im Jahre 1792 begleitet hatten? Wo blieb das Recht der Selbstbestimmung der Völker, was wurde aus dem Vorsatz, allen Ländern die Freiheit zu bringen, wenn jetzt ein Friede geschlossen wurde, der die Freiheit „nach geographischen Linien" abschied „und alle Länder, die jenseits der Grenze der repräsentativen Verfassungen liegen, den erblichen Regierungen" ausopserte? Noch jetzt wollte das Directorium nicht von seinem System des grenzenlosen Krieges und der allgemeinen Revolutionirung Europas lassen; doch es war machtlos gegenüber dem Jubel der Bevölkerung über die endlich winkenden Friedensaussichten und gegenüber dem Emporkömmling, der Kriegsmann und Staatsmann zugleich war und der — wie er an Talleyrand schrieb — die erhitzte und begeisterte Phantasie zu der wahren Politik zurückführte, die nichts anderes ist, als die Berechnung der Umstände und Möglichkeiten. Es war allerdings ein Wendepunkt im politischen Systeme der Republik. Der Friedensschluß enthielt den Verzicht auf die schrankenlose Propaganda, aber damit war auch der Kriegspolitik der letzte ideale Schimmer abgestreist. Eine neue Enttäuschung für den weltbürgerlichen Idealisten, der von den Erfolgen der französischen Waffen den allgemeinen Sieg der europäischen Freiheit erwartet hatte. Es blieb ihm kein anderer Trost übrig, als hartnäckig den Glaubenssatz zu wiederholen, daß trotz alledem in dem einen Lager die Freiheit, in dem anderen die Knechtschaft sei.
Der Unmuth, den Reinhard bei der ersten Nachricht des Friedensschlusses empfand, warf seine Schatten bis in den glücklichen Familienkreis, dem er jetzt angehörte. Wie überall, so war man auch im Reimarus'schen Hause hocherfreut über das Ende des Kriegs, dem nun bald auch der allgemeine Reichsfriede folgen sollte. Ja, die Doctorin forderte ihren Schwiegersohn, dem die deutsche Muse vertraut geblieben war, auf, in einer Ode das glückliche Ereigniß zu besingen. „Ihre Schwester," schreibt er dem Oheim, „verlangte eine Friedensode von mir; da ich ihr die zwei ersten Strophen zeigte, entließ sie mich meines Versprechens. Ihre sanftere Stimmung versöhnte meine Muse." Er hatte nämlich in einem Tone begonnen, der dem allgemeinen Friedensjubel Trotz entgegensetzte, Entrüstung über die Feigheit der Völker. Die Doctorin hatte dann selber den Pegasus bestiegen und in beweglichen Versen den Dichter umzustimmen versucht: Sing' ihn nur, den lang gewünschten Frieden,
Sanft und milde stimm' er Dein Gedicht.
Stolzer Muth hat euern Kampf entschieden,
Aber Hohn gebührt der Palme nicht.
Allvergesfend strömt man sich entgegen;
Ein Gedanke hebt das Volk empor,
Wandelt Feind und Krieg zu Freund und Segen,
Lispelt Jedem bessere Zeit ins Ohr.
0 Reinhard stimmte ganz mit den Directoren überein, die wüthend über den von Bonaparte geschlossenen Frieden waren und bitter ungern ihre Einwilligung dazu gaben.