Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.
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Und Du zögest rasch den Vorhang nieder,
Der sich freudeflatternd schon verschob?
Handeltest dem Herzen keck zuwider,
Das sich sanft zur schönern Zukunft hob?
Nein, so grausam konnte der Schwiegersohn, konnte der schwäbische Lyriker nicht sein. Der Angriff, den die Doctorin auf sein gutes Herz gemacht hatte, war nicht erfolglos. Ein Familienfest, das eben jetzt einfiel, ermöglichte dem Dichter eine Wendung zu finden, die nach allen Seiten versöhnte. Am 11. November war der Geburtstag des Vaters Reimarus, und dazu stellte sich Reinhard mit Versen ein, die vom Frieden des glücklichen Familienkreises anhoben und, in beredten Weisen dahinströmend, im Rückblick auf ein künftiges Friedens- und Freiheitsideal der Menschheit gipselten,
— Dann vereint sich, was Betrug geschieden:
Seine Erde lohnt des Armen Schweiß,
Völker werden nach dem bessern Frieden Glücklich sein wie dieser Kreis.
X.
In dieses Familienglück, das zu preisen Reinhard jede Gelegenheit ergriff, traf jetzt unwillkommene Botschaft. Eine schmerzliche Trennung stand bevor: der Gesandte der Republik hatte von seiner Regierung eine andere Bestimmung erhalten. Am 27. December schrieb Reinhard an Hennings:
„Ich bin zum Minister der Republik in Florenz ernannt und Stinchen verläßt mit mir Vaterstadt und Familie. Was der eigentliche Beweggrund dieser schnell genommenen Maßregel sei, weiß ich nicht oder will ich nicht errathen. An Klima, Ansehen und vielleicht Wichtigkeit der Stelle, Einkommen gewinnen wir allerdings. In Italien ist gegenwärtig jede Stelle wichtig, und vielleicht glaubt man mich dort unparteiischer als hier. Die Reise, hoffe ich, soll Stiuchens immer noch geschwächte Gesundheit Herstellen, und der beständige Wechsel interessanter Semen soll die Wolken verjagen, die die Trennung zurücklassen wird. Ich hatt' es bei Ihrer guten Schwester an Warnungen nicht fehlen lassen, allein ihr starker Glauben hatte sie in den Wind geschlagen. Noch gestern, da mir schon kein Zweifel mehr blieb, hielt sie die Sache für unmöglich. Diesen Morgen Hab' ich ihr das Urtheil angekündigt, und sie vernahm es nicht ohne Thränen."
„Vielleicht glaubt man mich dort unparteiischer als hier" — das war die Ursache der Versetzung. Schon am 14. Floreal (3. Mai) hatte das Directorium auf den Vorschlag des Ministers Delacroix eine Verordnung erlassen, durch welche die Heirathen der Gesandten im Auslande gewissen Bedingungen unterworfen wurden. „Das Directorium muß verlangen, daß nichts die Unabhängigkeit beeinträchtige noch den Patriotismus schwäche, die den Charakter eines diplomatischen Vertreters der französischen Regierung auszeichnen müssen." Für die Zukunft wurde verlangt, daß jeder französische Gesandte, der sich ver- heirathen wollte, die genauesten Angaben über die Persönlichkeit, die Familie, das Vermögen, die Verbindungen seiner Erwählten einsende. Auf den Bericht des Ministers sollte dann das Directorium entscheiden, ob die Erlaubniß zu gewähren sei oder nicht.
Auf diese Verordnung, die dann unter allen folgenden Regierungen gültig blieb, war eben Reinhard's Verheiratung von Einfluß, vielleicht war sie die Veranlassung gewesen. Es beweist aber für das Vertrauen, das man in Reinhard setzte, daß er bisher unangefochten auf seinem Posten geblieben war. Er machte kein Hehl daraus,