Heft 
(1891) 67
Seite
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Aus Karl Friedrich Reinhard's Leben.

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Er fordert den Oheim auf, noch einmal nach Hamburg zu kommen:Wir müssen reich an Erinnerungen sein, weil, für Christine besonders, so manche Stunden kommen werden, wo sie von ihnen und in ihnen leben wird. Christine wird auch das gewöhnliche Organ meiner Unterhaltungen mit der liebens­würdigen Familie sein, die wir verlassen. Aber wenn ich etwas Männliches vorzutragen haben sollte, so würd' ich mich an Sie wenden." Hennings wieder­holt am 4. Februar demredlichen Freund" seine Glückwünsche. Die Klagen der zärtlichen Freundschaft, schreibt er, und der mütterlichsten Liebe müssen ver­stummen bei dem höheren Ruf in der Sache der Menschheit. Er wünscht dem zur Abreise sich Rüstenden, daß er nie etwas Anderes sein mögeals ein Bote des Friedens und der beglückenden Menschen", und nochmals bittet er um Nach­richten aus Florenz, sei es durch Reinhard selbst, sei esdurch das liebens­würdige Organ meiner ebenso fein und richtig fühlenden als sich edel aus­drückenden Nichte".

Aber diese letzten Briefe zwischen Reinhard und Hennings sind auch noch angefüllt mit politischen Betrachtungen, zu denen die Tagesereignisse den Stoff geben. In ihnen setzt sich der begonnene Meinungsaustausch fort, aber so, daß durch den herzlichen Ton der persönlichen Beziehungen hindurch der Mißklang politischer Meinungsverschiedenheit jetzt immer schärfer durchdringt. Die Folgen des Friedens von Campo-Formio wurden nun erst im vollen Umfange sichtbar. Was zu Ende des Jahres 1797 im Haag, in Rom, in der Schweiz vorging, mußte auch die überzeugtesten Anhänger der Revolution stutzig machen, vielmehr gerade sie mit tiefem Unwillen und Schmerz erfüllen. So läßt denn der Oheim seinen Klagen über die rücksichtslose Gewaltpolitik freien Laus. Der Despotismus, so schreibt er, erhebt mehr als jemals seine eiserne Stirn. Erobern und nehmen will ein Jeder; Menschen und Länder glücklich zu machen, daran denkt Keiner. Von Neuem betheuert er seine eifrigsten Wünsche für Menschenwohl und für Alles, was in Frankreich darauf abzielt.Daher mein innigstes Bedauern, wenn ich mit dem Verfall des Ganges der Angelegenheiten Frankreichs die Sache der Menschheit sinken zu sehen glaube. Eine Regierung kann nicht be­stehen, die willkürliche und ungerechte Maßregeln zu Hülfe nimmt. Man sieht es in Frankreich. Die Gutgesinnten erwarteten ein neues System der ursprüng­lichen Menschheit und sehen nichts als das System der alten Politik. Staaten Werden gemodelt, Menschen unterjocht; Befehle ergehen, Gesetze schweigen. Man traut Frankreich nichts Gutes mehr zu, man glaubt nicht mehr an Menschheit."

Reinhard ist von diesen Angriffen schmerzlich berührt,um so mehr" ge­steht er selbstda ich nur zu gut begreife, wie Ihr und das allgemeine Urtheil diese Wendung nehmen konnte. Und dennoch würd' ich mit festem red­lichem Geiste es auf mich nehmen, die Vertheidigung der französischen Regierung zu übernehmen." Die Art, wie er nun wirklich in wiederholten Anläufen diese Vertheidigung führt, zu einer Zeit, da die Vertheidigung mißlicher als je ist, gehört zu den bezeichnendsten Belegen für die Würdigung von Reinhard's poli­tischem Charakter. Hier vornehmlich haben wir den Aufschluß für das Räthsel, wie der Deutsche und Deutschgesinnte an der Sache Frankreichs auch dann sest- halten und ihr dienstbar bleiben konnte, als der Egoismus und die nackte