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Deutsche Rundschau.
Brutalität dieser Politik nicht mehr verschleiert werden konnten. Wir werden in seinem Urtheil ein Zusammenwirken verschiedenartiger Beweggründe finden, und eben dieses seltsame Zusammenspiel gibt seiner politischen Persönlichkeit ihr besonderes Gepräge. Einmal ein selsensester Idealismus, der durch die Erscheinungen des Tages unbeirrt an einen glücklichen Ausgang der Revolution, an ihren Sieg und an eine bessere Zukunst glaubt; ja man nimmt eine am Diplomaten von Berus höchst merkwürdige Arglosigkeit wahr, die sich gutherzig Alles auss Beste zurechtlegt. Dabei aber empfindet er ein starkes Bedürfniß, sein System mit Verstandsgründen zu stützen, er geräth in eine doctrinäre Rechthaberei, und hier sehen wir ihn hart an der Grenze, wo er zu sophistischen Künsten seine Zuflucht nimmt. Schon an der Erregung, die ihm die Feder führt, glaubt man zu spüren, daß er eine innere widerstreitende Stimme betäuben muß. Er verdeckt nach außen den Zwiespalt, wie er ihn sich selber nicht eingestehen will. Er glaubt wirklich an den Triumph des Guten, er glaubt, daß auch die verwerflichen Mittel zu diesem Ziele führen müssen, und wir sehen voraus, daß, wer so hartnäckig an der Sache Frankreichs als der Sache der Menschheit festhält, im Stande sein wird, auch der Gewaltherrschaft Bonaparte's seine Dienste zu leihen; wir werden uns aber auch nicht darüber Wundern, daß mit der Zeit ein nagender Unmuth ihn ergreift und, wenn eine Enttäuschung um die andere nicht ausbleibt, freudloses Brüten, dumpfe Selbstquälerei sein Wesen mehr und mehr verdüsterte. Mit einem Worte, das er der attischen Comödie entlehnt, nennt er sich selbst einen „üsauton timorumenosfi Selbst- Peiniger, schon in diesen Briefen an Hennings.
Seine Vertheidigung der französischen Politik aber, wie er sie in dem Briefe vom 31. Januar ausführt, ist folgende:
„Die Republik hat diesen fürchterlichen Krieg, dessen Resultat, wo nicht Zweck, Verbesserung des Schicksals der Menschheit war, allein geführt. Noch ist Krieg, so lange das rein politische System, das die Republik sich schaffen mußte, nicht befestigt, so lange die gegenwärtige englische Regierung nicht gestürzt und die künftige an unser Interesse gefesselt ist. Schon stehen neunzig Millionen Menschen unter repräsentativen Regierungen den monarchischen gegenüber, aber ohne Englands Nentralisirung oder Beitritt kann das Gleichgewicht ohne die größte Anstrengung von unserer Seite nicht erhalten werden. Frankreich erwartet Alles vom Frieden; aber wenn der Seefriede nicht vorgeschrieben wird wie der kaiserliche Friede, so bleiben alle Keime eines neuen fürchterlichen Krieges. Diesen gegenwärtigen Krieg schnell und siegreich zu enden, ist unser Zweck. Die cisalpinische, ligurische, batavische Republik, die Rheingrenze und eine mit uns einverstandene Regierung in der Schweiz müssen die Vormauern unserer noch von allen Seiten bedrohten, von inneren Feinden belauerten Veste sein. Unsere erschöpften Kräfte herzustellen, bedürfen wir Freiheit des Handels und der Industrie. Wie darauf hoffen mit des gegenwärtigen Englands tödt- licher Eifersucht? Was wollen wir von Staaten erwarten, die Gewohnheit, der Vortheil des gegenwärtigen Augenblicks, Furcht vor unserer militärischen Größe und Abneigung gegen unser werdendes System an England fesseln? Ueber die Moralität unserer Maßregeln sprech' ich nicht, denn ich sage, es ist noch Krieg, und Krieg und Moral sind Widersprüche; und ich frage: Was hat England gethan? und was thut es noch? Folglich wäre bloß von der Klugheit der Maßregeln die Rede, und diese Untersuchung würde zu weit führen. Sprechen Sie von der Regierung im Innern? Ich weiß, daß die möglichste Mäßigung im Innern fest beschlossenes System des Directoriums ist. Aber auch da ist noch Krieg, der fürchterlichste, wenn er ganz losbrechen sollte. O, Sie kennen die inneren Feinde nicht, mit denen wir zu thun haben. Es ist eine unmögliche Forderung, daß Frankreich jetzt schon handeln soll, wie es im Frieden handeln wird und muß. Wir stehen noch immer zwischen der glücklichsten Existenz und zwischen Vernichtung."