Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

die Dachtraufe über das Straßenpflaster statt unter dasselbe zu leiten. Da der Plan des Werkes eine systematische Besprechung von wirthschaftlichen und Wohl- sahrtseinrichtungen ausschloß, so müssen wir um so dankbarer sein, wenn anläßlich der Darstellung des Competenzkreises der betreffenden Behörden einiges hieraus Be­zügliche verlautbart. So z. B. in Ansehung der Armenpflege. Wir erfahren zum ersten Male, daß jeder arbeitsunfähige Athener, der weniger als drei Minen (300 Drachmen, ungefähr ^ 300 Francs) besaß und den der Rath nicht als unwürdig zurückwies, einer Unterstützung von täglich zwei Obolen ifl's Franc) theilhaft ward ein Betrag, der dem niedersten aus dem Alterthum bekannten Tagelohn gleichkommt. Desgleichen erhalten wir Kunde von einem Maximal­preis, der für die Verdingung von Flötenspielerinnen und anderen Musikantinnen festgesetzt war; es dursten nicht mehr als zwei Drachmen für den Tag gezahlt werden. Zwischen mehreren Bewerbern sollte das Loos entscheiden. Ebenso er­fahren wir, daß der Müller- und Bäckergewinn behördlicher Beschränkung unterlag und der Brodtarif mit Rücksicht auf die jeweiligen Körnerpreise sestgestellt ward.

Der Verwohlfeilung der Cerealien selbst endlich und der ausreichenden Ver­pflegung der Stadtbevölkerung diente die Anordnung, der zufolge jedes Getreide­schiff, welches im Piraeus landete, zwei Drittheile seiner Ladung auf den städtischen Markt zu bringen gehalten war. In diesem Zusammenhänge mag auch einer Vorkehrung gedacht werden, welche gegen die Ausbeutung einer wirthschaft­lichen Zwangslage getroffen wurde. Es geschah dies beim Abschluß des Bürger­krieges im Jahre 403. Da wurde denjenigen Anhängern der besiegten und amnestirten oligarchischen Faction, welche aus Furcht vor Privatrache Athen eine Zeitlang meiden zu müssen glaubten, das benachbarte Eleusis als Aufent­haltsort angewiesen. Um nun ein übermäßiges Emporschnellen der Wohnungs­preise hintanzuhalten, wie ein solches in Folge des erwarteten Andranges von Miethparteien leicht eintreten konnte, sollten gewählte Schiedsrichter die Ent­scheidung treffen. Doch es kann nicht meine Absicht sein, den Leser mit einem Sturzbade unverbundener, wenngleich an sich anziehender und lehrreicher Notizen zu überschütten. Ich wende mich lieber zu dem wichtigsten Theil meiner Auf- ! gäbe, zur Erörterung der Frage, ob und inwieweit es möglich ist, aus dem neu­entdeckten Buche auch schon jetzt belangreiche, die gangbaren Auffassungen wesentlich modificirende Schlüsse zu ziehen.

Ich muß die Bemerkung voranschicken, daß das Werk aus zwei dem Umfange und noch mehr dem Werthe nach sehr ungleichen Hälften besteht. Die ersten einundvierzig Capitel enthalten eine geschichtliche Darstellung der athenischen Verfassungsentwicklung, die sich mehrfach zu einer Erzählung historischer Ereignisse erweitert. Die zweite, weit kleinere Hälfte (Capitel 4263), wozu noch die ver­stümmelten Schlußblätter kommen, schildert die zur Zeit des Verfassers geltenden Einrichtungen und entspricht somit dem, was in unseren Handbüchern der Alterthümer" als der statistische oder antiquarische Theil bezeichnet wird. Hier ist der Gewinn, den wir aus der neuerschlossenen Quelle schöpfen, zwar immer noch ein bedeutender werden doch gar manche Streitfragen wie im Hand­umdrehen entschieden aber doch im Großen und Ganzen ein ungleich geringerer. Denn weitaus das Meiste war uns bereits durch Schriftsteller des späten Alter-