Heft 
(1891) 67
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Deutsche Rundschau.

ihren Namen verändert hätte. So in Sparta, wo die königliche Gewalt durch den steigenden Einfluß der Ephoren fast zu einem Schatten verflüchtigt worden War. Und wenn Königin Victoria nicht den zehnten Theil der Machtfülle besitzt, über welche einst Königin Elisabeth verfügte, so hat sie darum doch nicht ausgehört, Königin zu heißen. Der Name pflegt aus diesem Gebiete die Sache zu über­dauern, und nichts spricht dagegen, daß dasselbe in Athen der Fall gewesen sei. Ja, ein Umstand spricht mit ausschlaggebender Kraft dafür, die Thatsache nämlich, daß nicht nur zur Zeit der Adels-, sondern auch zu jener der vollentwickelten Volksherrschaft der Königstitel, dessen Träger nunmehr einer der neun Archonten war, unverändert fortbestand. Wie war dies möglich, wenn hierin jemals ein Bruch der geschichtlichen Continuität stattgefunden hätte? Die ein­sichtsvolleren Darsteller der griechischen Geschichte haben demgemäß die alt­herkömmliche Erklärung des Archontats neuerlich verworfen, ohne jedoch eine bessere an ihre Stelle setzen zu können. Nunmehr empfangen wir eine solche aus den Händen des Aristoteles. Königen von geringer Kriegstüchtigkeit wurde zuerst ein Feldoberster (Archon Polemarchos) an die Seite gesetzt; ein oberster Ver­waltungsbeamter (der spätere Archon Eponymos) schloß sich diesem an. Man wird an die Hausmaier erinnert, welche die Gewalt der merowingischenrow kainsaulL" Stück um Stück an sich rissen. Die Königsgewalt war mehr und mehr zusammengeschrumpft; bald blieb nichts von ihr übrig als die Vertretung des Staatswesens nach außen und zumal den Göttern gegenüber: die priester- lichen Functionen des nominellen Staatsoberhauptes und die mit ihnen innerlich verknüpfte, weil auf religiöser Grundlage ruhende Theilnahme an der Blut­gerichtsbarkeit. So hatte sich die spätere Competenz des Archon Königs aus der Gesammtheit der Befugnisse wie von selbst heraus geschält. Ein leichter Anstoß, der Regierungsantritt eines auffallend unbegabten Herrschers z. B., konnte ge­nügen, um den langsamen Umbildungsproceß vollends abzuschließen; das König­thum starb eines natürlichen Todes; man war aus ihm unvermerkt in die zweite Etappe der Verfassungsentwicklung, in die Adelsherrschaft, hinab geglitten.

II.

Geradezu verblüffend wirken die Mittheilungen über Drakon. Hätte ein Candidat noch vor zwei Wochen derartiges am Prüfungstische vorgebracht, eine derbe Zurechtweisung wäre ihm nicht erspart geblieben. Wir kannten Drakon lediglich als den Verfasser oder (nach der richtigeren Ansicht) als den Codificator blutig-strenger Strafgesetze; wir lernen ihn nunmehr als den Urheber der wich­tigsten Verfassungsreformen kennen. Das Loos als Mittel der Beamtenbestel­lung galt uns als das Merkzeichen der voll entfalteten athenischen Volksherr­schaft, wenn nicht gar als der Ausfluß demokratischenNeides und Mißtrauens"; wir sehen jetzt, daß es mindestens feit Drakon unter den Einrichtungen des Adelsregiments bereits eine breite Stelle einnahm. Einige der belangreichsten Neuerungen, die eine von keiner Seite angefochtene Tradition dem Solon bei­legte, erweisen sich als das Werk seines kaum minder bedeutenden Vorläufers. Daß wir freilich schon hier von einer Volksversammlung (Ekklesia) zu hören be­kommen, muß nicht eben allzu viel bedeuten. Denn an Volksversammlungen