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Deutsche Rundschau.
er, daß das ungeheure Uebel nicht durch gelinde Heilmittel zu beseitigen sei. Er beschloß die grundsätzliche Abschaffung der Schuldknechtschast und zugleich jene „ Lasten abschüttelung" (Seisachtheia), über deren Wesen und Umsang in alter und neuer Zeit so viel gestritten worden ist. Schon ein Zeitgenosse des Aristoteles, der Geschichtschreiber Androtion, hat es mit der Ehrsurcht, die man dem großen Gesetzgeber zollte, nicht vereinbar gefunden, ihm einen gewaltthätigen Eingriff in erworbene Rechte zuzutrauen, und wollte demgemäß nicht an eine Tilgung der Schulden, sondern nur an eine Ermäßigung derselben glauben. Welche die Folge der von Solon verfügten Reduction des Münzfußes gewesen sei. Darin sind ihm viele Neuere gefolgt, ohne zu bedenken, daß dem vermögenslosen Schuldknecht wenig damit geholfen war, wenn er statt hundert Drachmen, die er nicht besaß, deren dreiundsiebzig zu zahlen hatte, die er ebenso wenig besaß. Daß die beiden Maßregeln nichts mit einander gemein hatten, daß der Uebergang vom alten äginäischen zum euböischen Münzfuß vielmehr nur handelspolitischen Zwecken diente und dazu bestimmt war, dem athenischen Seefahrer und Kaufmann die Bahn des Weltverkehrs zu öffnen, dies hat erst vor wenigen Jahren Ulrich Köhler klar erkannt und bündig erwiesen. Nunmehr ist der letzte Zweifel behoben. Solon's „Lastenabschüttelung" war wirklich das, was ihr Name besagt, eine vollständige und ausnahmslose Tilgung aller Schuldverpflichtungen, mochte nun der Staat oder ein Privater der Gläubiger sein. Mit Fug konnte der gewaltige Mann sich rühmen, daß er die Mutter Erde von den auf ihr lastenden Schuldsäulen (den Hypothekenzeichen) befreit und zahlreiche Bürger aus der Knechtschaft erlöst habe. Daß selbst ein so conservativer Politiker, wie Aristoteles es war, dies alles ohne ein Wort des Tadels mittheilt, sich vielmehr nur aufs Aeußerste beflissen zeigt, Solon von dem schmutzigen Verdachte zu reinigen, er habe aus jener Maßregel unlauteren persönlichen Gewinn gezogen, dies beweist mehr als irgend etwas, daß er — und wo gäbe es einen urteilsfähigeren Zeugen? — in ihr ein Gebot eiserner, unabweisbarer Notwendigkeit erblickt hat. Auch hat diese einmalige Verletzung erworbener Rechte Treu und Glauben nicht im Mindesten erschüttert. Niemals ward Aehnliches wiederholt, oder zu wiederholen auch nur versucht; kein Staatswesen hat, wie längst bemerkt ward, seine pecuniären Verbindlichkeiten so ernst genommen, wie eben das athenische. Zur Zeit freilich hat Solon keine der streitenden Parteien befriedigt. Dem kleinen Mann genügte das nicht mehr, was er kurz vorher „nicht im Traume zu hoffen gewagt hatte"; er begehrte eine Landauftheilung. Den Opti- maten hingegen galt der kühne Socialreformator als ein abtrünniger Parteigenosse. Seine persönlichen Anhänger endlich konnten es ihm nicht verzeihen, daß er den „Fischzug", zu dem Alles vorbereitet gewesen sei, nicht vollbracht, daß er nicht nach der höchsten Gewalt gegriffen habe, aus der auch sie reichen Vortheil zu ziehen gehofft hatten. Nur die Nachwelt hat dem gleich einem Halbgott verehrten Retter des zerrütteten Gemeinwesens mit nie erlöschender Dankbarkeit gelohnt.
Sie hat ihm eben darum, wie wir bereits sahen, auch zahlreiche Reformen zugeschrieben, deren Urheber in Wahrheit Drakon war. Anderes, was das Alterthum bald ihm, bald dem Pisistratus zuwies (wie das Gesetz gegen Müßiggang