Heft 
(1891) 67
Seite
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Deutsche Rundschau.

Die Gaue oder Demen, deren Bewohner zu einer Phyle verbunden wurden, sollten nicht durchweg örtlich Zusammenhängen. Dies wußten wir bisher im Allgemeinen; das System, welches dieser Gruppirung zu Grunde lag, war uns unbekannt geblieben. Das ganze Land so erfahren wir nunmehr ward in drei Regionen getheilt: in die hauptstädtische, die Binnen- und die Seeregion. Jede derselben ward in zehn Unteräbtheilungen zerlegt, Drittel (Trittyen) ge­nannt, deren es im Ganzen somit dreißig gab und von denen jede wieder eine Anzahl von Gauen in sich begriff. Aus je drei der Trittyen endlich einer aus jeder der drei Regionen ward mittelst des Looses je eine der zehn Phylen gebildet. So vereinigte jede derselben? wie Alt- und Neubürger, so auch An­gehörige der verschiedenartigsten Landestheile und Jnteressenkreise. Der einheitliche Staatsgedanke triumphirte endgültig über alles Sonderthum.

Dieser Aufbau eines Staatsganzen aus halb künstlichen Gebilden aus Bürgerverbänden, die einer geschlossenen Territorial-Basis ermangelten ist eine der wundervollsten politischen Conceptionen, welche jemals einem Menfchengehirn entsprungen sind. Sie vereinigt die Vortheile des Centralismus mit den Vorzügen des Föderalismus. Sie leiht demguten Streit" des Hesiod Flügel und lähmt die Kraft seines häßlichen Widerspiels. Sie weckt und stärkt den dem gemeinen Wohl frommenden Wetteifer, während sie dem gemeinverderblichen Zwist buch­stäblich den Boden unter den Füßen wegzieht.

Der zum Siege gelangte Unitarismus war mithin keineswegs ein starrer und straffer, das Eigenleben der kleineren Kreise auszehrender Centralismus. Ganz im Gegentheil. Das Staatswesen war noch reicher gegliedert als vormals, und jedes dieser Glieder war von kräftigem, die praktischen Bedürfnisse nicht minder als die des Gemüthes befriedigendem Leben durchströmt. Die' religiöse so­wohl als die Interessengemeinschaft schlang ihr einigendes Band um die Angehörigen der großen wie der kleinen Körperschaften. Die gemeinsam genossenen Festfreuden sowohl als der Gesammtbesitz von Heiligthümern, Grundstücken, Bibliotheken u. dgl. m. brachte Phylen- und Demengenossen einander nahe und strahlte jene wohl-- thuende, den Familiengefühlen verwandte Wärme aus, welche der Grieche auch im Bereich des öffentlichen Lebens nicht zu entbehren vermochte.

Auch als Organen des Gesammtstaats, als Behelfen der politischen Arbeits- theilung fiel den Stämmen die belangreichste Rolle zu. Daß von den Demen den Unterabtheilungen der TrittYerO) Aehnliches gilt, War uns bisher nicht in vollem Umfang zu wissen vergönnt. Auch hat ein dahin zielendes antikes Zeugniß selbst bei den berufensten Kennern nicht die ihm gebührende Beachtung

0 Hat Kleisthenes die Zahl der Demen wirklich auf hundert gebracht, so daß jede Phyle deren zehn befaß? Die viel umstrittene Frage scheint auch jetzt nicht mit Sicherheit lösbar. Bejaht man sie, so erhebt sich die weitere Räthselsrage: Wie war es möglich, jene Hundertzahl dergestalt unter die dreißig Trittyen zu vertheilen, daß der Proceß der Erloofung jeder Phyle mit den drei Trittyen zugleich zehn in diesen belegene Demen zuführen mußte? Ein naheliegendes, die geringste Abweichung von unbedingter Gleichmäßigkeit der Vertheilung in sich schließendes Auskunstsmittel wäre das folgende gewesen: eine der drei Regionen, etwa die am dichtesten be­völkerte, mochte aus vier-demigen, jede der zwei anderen aus drei-demigen Trittyen gebildet sein. Dann umschlossen die dreißig Trittyen 40 -st 30 -st 80 Demen, und jeder Phyle mußten mittelst der drei ihr zugeloosten Trittyen auch 4 -st 3 -st 3, d. h. zehn Demen zufallen.