Ueber die Lehre vom Gewissen.
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übertragen; denn er verfügt über keine anderen. Und dies gilt nicht nur im Allgemeinen, sondern in ganz bestimmter Weise. Dem logischen Gesetz, vom Gleichen Gleiches zu denken, entspricht das Postulat, im gleichen Falle gleich zu handeln; dem Gesetz des Widerspruchs die Forderung, nicht sich widersprechenden Maximen zu folgen; dem Gesetz vom ausgeschlossenen Dritten die Norm, daß es für jede Handlung, die unter sittliche Gesichtspunkte fällt, neben Ja und Nein, Sollen und Nichtsollen, Thun und Unterlassen nichts Drittes gibt. Dem Kausalgesetz des Denkens steht die Kausalität des Handelns gegenüber, für welche an die Stelle von Ursache und Wirkung das Verhältniß von Zweck und Mittel tritt. So entsteht aus den Normalgesetzen des Denkens das formale Normalgesetz des Handelns, daß es ein in sich widerspruchloses, das Gleiche gleich stellendes, von dem Gegensatz des Ja und Nein, des Rechten und Unrechten beherrschtes, in den Kausalzusammenhang der Außenwelt durch die Kausalität der Zwecke verständig eingreifendes Wollen und Verfahren sein müsse. Diese Bedingungen schassen dem Handeln zwar noch keinen bestimmten Inhalt, aber es gibt ohne sie keine sittliche Lebensordnung.
So werden denn die Begriffspaare Humanität und Logik, Vernunft und Liebe die Quellen und Leitsterne, rücksichtsvoll und rationell die Prädicate alles sittlichen Handelns.
Allein diese großen Principien Vernunft und Liebe sind zunächst nur ideale Ziele, welche der von dem sittlichen Trieb angeregte Jntellect entwirft. Ihre concrete Ausführung an dem spröden Stoff der Wirklichkeit ist Gegenstand der geschichtlichen Entwicklung, die mit rohen Anfängen beginnt, aber doch so, daß die treibende Idee sofort schon erkennbar ist.
Sowohl die Ansicht, daß in dem angeborenen sittlichen Trieb nichts enthalten sei, als ein Bewußtsein eines unbedingten Sollens ohne Bezeichnung des gefüllten Inhalts, als die andere Auffassung, für welche es überhaupt keine angeborenen Keime der Sittlichkeit, sondern nur aus der Erfahrung hervorgegangene und für das menschliche Zusammenleben als nützlich erprobte Regeln des Handelns gibt, berufen sich aus die enormen, bis an die Grenze thierischer Zustände Hinabgreisenden Unterschiede der sittlichen Vorstellungen in der Urgeschichte der Menschheit, bei den wilden Völkern der Gegenwart, bei den zahllos en Ausnahmen auch innerhalb der modernen Gesittung und glauben mit Rücksicht darauf behaupten zu dürfen, daß von einem gemeinsamen Grundstock sittlicher Begriffe der Menschheit nicht die Rede sein könne.
Seit jener ersten von dem Engländer Locke gelieferten Blumenlese abscheulicher Völkergebräuche hat sich hierüber ein unübersehbares Material angehäuft, von welchem die Utilitarier der Ethik, die alles Angeborene leugnen, eifrigsten Gebrauch machen. Die Sitten der Naturvölker werden bald in helleren, bald in dunkleren Farben gezeichnet und finden ihre Vertheidiger wie ihre tendenziösen Verächter. Jene berufen sich darauf, daß äußere Nachrichten meist sehr unsicher und widersprechend seien, daß Vieles, Was uns als das Abstoßendste erscheint, wie Menschenopfer, Kannibalismus, die martervolle Tödtung der Gefangenen oder gar das Schlachten und Verzehren alter und gebrechlicher Eltern, mehr auf Motiven des Aberglaubens als auf Unempfindlichkeit für Mitleid zu beruhen