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Deutsche Rundschau.
daß auch ohnedies kein Sachverständiger daran geglaubt hätte, suchte ich Schlie- rnann vergebens einzuwenden. „Ich bin meinen Petersburger Bekannten gründliche Antworten schuldig," damit schrieb er selber und erbat er von seinen Bekannten „etwa sechs Spalten lange Artikel," um sie der Reihe nach zu immer neuen Vorstößen im „Herold" zu benutzen.
Weit einfacher und doch nicht minder energisch vollzog sich die Widerlegung eines berühmten englischen Architekten, der nach einem flüchtigen Besuche auf Tiryns die von Schliemann aufgedeckten Reste in der Heimath nicht als die der alten Königsburg, sondern nur als byzantinisches Gemäuer gelten lassen wollte. Schliemann reiste darauf in Dörpfeld's Begleitung direct von Athen nach London, um Penrose in einer Sitzung der archäologischen Gesellschaft zur Disputation herauszufordern. Das Resultat war ein klares und für beide Theile ehrenvolles.
Der Gegner sah ein, daß er die Ruinen einer altchristlichen Kirche für das Wesentliche genommen hatte und zog seine Einwendungen sreimüthig zurück.
Schliemann gewann es bei seinem Temperament und Bildungsgänge nur schwer über sich, irgend welchen Lieblingsideen oder Beobachtungen endgültig den Abschied zu geben, welche den Glanz seiner Funde zu erhöhen geeignet erschienen. Dennoch hat er so manche phantastische Aufstellung seiner früheren Jahre all- mälig beseitigt oder doch herabgemindert. Agamemnon und Priamos hören auf, eine so persönliche Rolle in seinen Berichten zu spielen: die eulenköpfigen Pallasbilder treten uns in seinem Buche „Troja" weit schüchterner entgegen. So klang auch der einzige Conflict, in den ich indirect mit Schliemann verwickelt Wurde, milde und versöhnlich aus. Derselbe ist für beide Seiten des Mannes charakteristisch genug, um hier berichtet zu werden.
Ein bevorzugter Mitarbeiter Schliemann's, Professor Sayce in Oxford, hatte bereits in einem Anhänge zu dessen „Jlios" (1881) eine vage Theorie über das Volk der Hittiter als einstiger Vorherrscher über ganz Kleinasien entwickelt und insbesondere auf trojanischer Thonwaare eine Anzahl hittitischer Inschriften Nachweisen zu können geglaubt. Inzwischen war die Schenkung der trojanischen Alterthümer an das deutsche Reich erfolgt. Schliemann leitete persönlich die Aufstellung derselben in einigen Sälen des Kunstgewerbemuseums zu Berlin, wobei ich gelegentlich hülfreiche Hand leisten konnte. Bald darauf trug mir Professor Bastian, der intellectuelle Begründer des damals noch im Bau begriffenen „Museums für Völkerkunde", in das jene Funde später gelangen sollten, die Inventaraufnahme derselben an. Da nun Professor Sayce Ende 1883 in seiner Vorrede zu Schliemann's „Troja" seine Anschauungen von neuem in einem höchst zuversichtlichen System vortrug, erschien es mir nach mehrmonatlicher Beschäftigung mit den trojanischen Alterthümern als beinah persönliche Pflicht, zu erklären, daß jene Hypothesen jeder thatsächlichen Unterlage entbehrten. In einem Aussatze der Münchener „Allgemeinen Zeitung" wies ich darauf hin, daß unter den trojanischen Fundobjecten weder von hittitischen Inschriften noch überhaupt von Schriftzeichen die Rede sein könne, daß jene paar hervorgesuchten Zeichen, wie tausend andere, nur flüchtig in den Ton gekritzelte oder eingedrückte Verzierungen darstellten, deren regelmäßigere Formen sich gleichfalls Nachweisen ließen.