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Deutsche Rundschau.
Bemerkung hinzu, daß es Wohl nöthig sein würde, mit dem kretensischen „Landtage" persönlich zu verhandeln und die einflußreicheren Abgeordneten „durch kleine Geschenke" zu gewinnen. Seine Vorahnung erweist sich als sehr richtig. Bald erfährt er, daß der Regierungsbeamte in Kreta eigentlich gar nichts zu bedeuten habe, der Abgeordnete Alles.
Inzwischen muß er nach Holland, um ein (zweites) Doctordiplom in Empfang zu nehmen, nach Oxford, wo er als Ehrenmitglied (Ironornr^ teUo^v) am Queen's College Angeführt werden soll, womit lebenslängliche luxuriöse Wohnung und Kost verbunden ist, („wovon ich wahrscheinlich keinen Gebrauch machen werde", bemerkt er scherzend!); darull nach London, nach Ankershagen (seinem Heimaths- ort), nach Wildungen, Leipzig, Paris — kurz vor November kann er unmöglich in Kreta sein. Aber die Herren Kretenser, welche so gern über Vergewaltigung klagen, sind die eigenwilligsten Selbstherrscher. Auch unter einander in Parteien zerspalten, erweisen sie sich bei den Verhandlungen äußerst schwierig und anspruchsvoll. Im Jahre 1886 knüpft Schliemann von Neuem an. Er hatte gemeinsam mit Dörpfeld an der Stätte des alten Knosos einen Hügel ins Auge gefaßt, auf dem sichere Anzeichen von der Existenz eines Palastes, ähnlich dem von Tirhns, vorhanden waren. Vorläufig scheiterte Alles wieder an den unverschämten Forderungen, ja Betrugsversuchen des Grundbesitzers. Endlich im Frühjahr 1889 schien das Unternehmen durch die Beihülse des neuen, kunstsinnigen General- Gouverneurs, der eine Petition Schliemann's beim Parlament durchzusetzen versprach, in Gang kommen zu wollen.
Daß auch jetzt nichts geschah und alle Pläne mit Schliemann nunmehr ins Grab gesunken sind, haben wir leider jener Polemik zu danken, in welcher sich Schliemann durch den Hauptmann a. D. Bötticher verwickeln ließ. Galt es doch der geliebten Stätte von Troja und entsprach es doch ganz seiner nun schon hinreichend gekennzeichneten Eigenart, selbst dilettantische Angriffe, die das große Publicum irre führen konnten, mit Aufbietung aller Mittel zurückzuweisen. Bötticher hatte bekanntlich unter kühner Umdeutung älterer Schliemann'scher Ausgrabungsberichte, ohne je an Ort und Stelle gewesen zu sein, die ungeheuerliche Behauptung gewagt, jener Hügel von Hissarlik (mit seinen mächtigen Thoren, Thürmen und Mauern!) stelle nichts Anderes dar, als einen Leichenverbrennungsort, eine „Feuernekropole". In Belgien und Frankreich fand er sogar einige Ermuthigung, noch mehr aber darin, daß Schliemann und Dörpfeld seine Auslassungen regelmäßig ausführlicher Antworten würdigten. Die Wissenschaft so wenig wie Schliemann's Ruf hätten irgend Etwas eingebüßt, wenn es bei den Worten vom „furchtbaren Unsinn" geblieben wäre, mit denen Virchow in der Wiener Anthropologenversammlung (1889) die Zumuthnng Bötticher's ablehnte, sich dort mit seinen Aufstellungen zu beschäftigen. Wie fruchtlos die Mühe war, welche sich Schliemann darauf mit seiner Person gegeben hat, beweist das Folgende. Auf eigene Kosten lud er Bötticher und zwei Sachverständige nach Troja ein; zu Anfang December 1889 traf man dort zusammen; Bötticher ließ sich zwar herbei, eine Reihe falscher Annahmen zurückzuziehen, nicht aber die gegen Schliemann gerichteten Beschuldigungen und ebensowenig, wie sich bald nach seiner Rückkehr heransstellte, den Kernpunkt seiner Behauptung.